„Ich bin der Linke der Linken, Demokrat und Sozialist“.
Neue Dokumente über V. L. Burcev.

Zusammengestellt und kommentiert von B. Chavkin und S. Popova


Vladimir L’vovič Burcev (1862–1942), Teilnehmer und Historiker der russischen revolutionären Bewegung, Publizist, Journalist, Literaturwissenschaftler, Herausgeber einer Zeitschrift und Redakteur des Sammelbandes Byloe [Erlebtes] zur Geschichte der revolutionären Bewegung, ist als „Jäger auf Provokateure“ in die Geschichte eingegangen: Er entlarvte die Agenten der zaristischen Ochrana (Geheime Staatspolizei) Evno Azef und Roman Malinovskij und berichtete darüber in einem seiner Bücher.[1]

Burcev sammelte ein überaus umfangreiches persönliches Archiv, das für Historiker höchst wichtig ist. Leider wurde dieses Archiv zerstückelt und befindet sich heute in verschiedenen Depots und verschiedenen Ländern. Aber Burcev war davon überzeugt, daß „dieses Archiv bei erster Gelegenheit (wann wohl?) in Rußland sein wird“,[2] wobei er natürlich nicht das bolschewistische Rußland meinte.

Sein in Paris zusammengetragenes Archiv verkaufte Burcev 1924 an das Russkij Zagraničnyj Istoričeskij Archiv [RZIA: Russisches Ausländisches Historisches Archiv], das 1923 in Prag unter Teilnahme der tschechoslowakischen Regierung vom Komitee von Zemgor (Vereinigung russischer Zemstvo- und städtischer Politiker) angelegt worden war. Im Dezember 1945 unterzeichneten Vertreter der tschechoslowakischen Regierung einen Akt darüber, daß das RZIA an die Akademie der Wissenschaften der UdSSR (heute Akademie der Wissenschaften Rußlands) als Schenkung übergeben werde. Im Januar 1946 wurde das Archiv nach Moskau befördert und kam ins Staatliche Zentralarchiv der Oktoberrevolution (CGAOR, heute Staatliches Archiv der Russischen Föderation: GA RF).[3] Der Burcev-Bestand befindet sich im GA RF unter Nr. 5802 (zwei Inventurlisten für 1929–1939, 2.477 Bestandseinheiten). Im Mai 1946 gingen Archive von V. L. Burcev und V. M. Černov aus der Abteilung Spezialaufbewahrung der Staatlichen Bibliothek der UdSSR „V. I. Lenin“ (heute Russische Staatliche Bibliothek) in einem Umfang von 76 Mappen und 7 Heften beim CGAOR ein.[4] Offenbar befanden sich gerade darunter Burcevs Dokumente aus den Jahren 1925–1939, die heute in der Hauptsache die Inventurliste 1 des Bestands 5802 des GA RF ausmachen.

Burcevs Archiv, das nach seiner Flucht aus einem sowjetischen Gefängnis (er saß dort vom 25. Oktober 1917 bis zum 18. Februar 1918 ein) in Petrograd geblieben war, wurde an die Manuskriptabteilung der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften der UdSSR übergeben. Diese Sammlung wurde 1929–1930 künstlich geteilt, wobei ihr größerer Teil zuerst ins Archiv der Revolution und der Außenpolitik und später ins CGAOR geriet. Der kleinere Teil ging zwecks Aufbewahrung an das V. I. Lenin-Institut, wo im weiteren im Bestand des Zentralen Parteiarchivs des Instituts für Marxismus-Leninismus (CPA IML) beim ZK der KPdSU (heute Russisches Staatliches Archiv der Sozialpolitischen Geschichte: RGASPI) ein Spezialbestand Nr. 528 gebildet wurde. Aus dem CGAOR wiederum ging ein Teil von Burcevs Dokumenten an die Manuskriptabteilung des Instituts für Russische Literatur (Puškin-Haus) der Akademie der Wissenschaften Rußlands und an das Zentrale Staatliche Literaturarchiv (CGALI).

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein Teil von Burcevs Archiv in den Besitz B. I. Nikolaevskijs, eines bekannten Sammlers von Archiven der russischen Emigration, der ab 1940 in den USA lebte. Im Bestand von Nikolaevskijs Sammlung befinden sich Burcevs Dokumente im Archiv des Hoover Institute der Stanford University. Dorthin kamen auch seine von L. B. Bernštejn übergebenen Dokumente. Außerdem werden fünf Kartons mit Burcevs Papieren im Bachmet’ev-Archiv in der Bibliothek der Columbia University in New York aufbewahrt.[5]

Der gegenwärtigen Publikation liegt die für den Dienstgebrauch aufgestellte und früher nicht veröffentlichte „Archivauskunft“ zugrunde, die von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des damaligen „Sonderarchivs“[6] S. S. Popova vorbereitet wurde; sie enthält eine Übersicht jener Materialien Burcevs und über Burcev, die sich in der französischen und der deutschen Sammlung des „Sonderarchivs“ erhalten haben. Die „Archivauskunft“, aufgestellt 1989 auf Anfrage des CPA IML beim ZK der KPdSU, weist für die politisierte Zeit der Gorbačev-Perestrojka charakteristische Formulierungen auf; unverkennbar ist die negative Einstellung der Zusammenstellerin dieses Dokuments und vor allem des Auftraggebers zu den „Weißen“, zu denen Burcev ja gehörte. Gesagt sei, daß die Autorin die Quellen objektiv darstellt und miteinander vergleicht, ohne sich ihre willkürliche Auslegung zu erlauben; Burcevs Persönlichkeit und Tätigkeit werden vielseitig, anhand einer breiten Quellenbasis dargestellt.

Eine der wichtigsten Quellen, die eigentliche Grundlage der Publikation, ist Burcevs „Personalakte“, die im französischen Polizeiarchiv aufbewahrt wurde. Das ist wohl eines der umfangreichsten erbeuteten Dossiers, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Moskauer „Sonderarchiv“ landeten. Das erste Dokument des Dossiers datiert von 1894. Es handelt sich um ein Formular mit Burcevs kurzen biographischen Angaben sowie Nachrichten über seine Reisen, aufgestellt vom Polizeikommissariat der Stadt Annemasse; dieses verfolgte aufmerksam alle Emigranten, die die französisch-schwei­zerische Grenze passierten. In fast einem halben Jahrhundert wurde das Burcev-Dossier durch neue Meldungen, hauptsächlich solche von Agenten der Außenbeobachtung, aufgefüllt. Dokumente operativen Charakters betreffen vor allem die Zeit bis zur Revolution von 1917 und sind, weil authentisch, am wertvollsten. Die Angaben für 1894–1916 machen umfangmäßig mehr als die Hälfte des Dossiers aus (insgesamt ca. 900 Blätter, darunter Drucksachen und Zeitungsausschnitte).

Die französische Polizei und Abwehr wachten streng über die Loyalität und politische Tätigkeit der russischen Emigranten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessierten sich die Franzosen wenig für die Sozialdemokraten, die ihrer Meinung nach die Welt „nur“ mittels Ideen zu verändern trachteten. V. I. Ul’janov-Lenin war für sie kaum ein Begriff. Erst 1914, nach Beginn des Ersten Weltkrieges und nach Lenins Übersiedlung in die Schweiz, erhielt er die Charakteristik des „Enfant terrible“ der russischen Sozialdemokratie. Anfang des Jahrhunderts waren es russische Anarchisten und Sozialrevolutionäre, die bei den französischen Geheimdiensten große Besorgnis hervorriefen; die entsprechende Information kam von den Agenten der zaristischen Ochrana, welche die russische Kolonie im Ausland unter Beobachtung hielten.

Burcev mit seinen politischen Losungen „Für Terror!“, „Nieder mit dem Zaren!“ und „Zu den Waffen!“ wurde naturgemäß zu einem jener Russen, die den französischen Geheimdiensten keine Ruhe gaben. Schon im Dezember 1891 wurde ein Befehl über seine Ausweisung aus Frankreich vorbereitet. Er verlor sich jedoch in den Archiven der Pariser Präfektur und wurde erst im Januar 1904 entdeckt. Doch blieben Versuche, Burcev auf Bitten des russischen Botschafters in Paris aus Frankreich auszuweisen, erfolglos. Burcev setzte seine aktive Tätigkeit zwecks Entlarvung französischer Agenten, die im Ausland für die russische Geheimpolizei arbeiteten, fort.

In anderen Ländern hatte Burcev weniger Glück. Er wurde wiederholt durchsucht, verhaftet, aus der Schweiz, aus England und Finnland ausgewiesen. Ein halbes Jahr nach der Rückkehr nach Rußland mußte Burcev zum zweiten Mal in die Verbannung nach Sibirien gehen. Aber seine Position als „Oboronec“ (Vaterlandsverteidiger) in den Jahren des Ersten Weltkrieges trug wohl dazu bei, daß die französische Regierung die zaristische Regierung um seine Amnestie ersuchte.

Die in Rußland aufbewahrten Archivdokumente von 1917–1940 enthalten neue, der Öffentlichkeit unbekannte Fakten aus Burcevs Leben; sie betreffen seine politische Tätigkeit und stammen nicht nur aus seiner „Personalakte“, sondern auch aus den „Personalakten“ anderer russischer Emigranten sowie aus anderen Beständen französischer und deutscher Herkunft. In diesen Dokumenten werden Episoden aus Burcevs politischer Tätigkeit fragmentarisch angegeben. In den Quellen sind Ungenauigkeiten und selbst offensichtliche Fälschungen möglich; sie tragen den Stempel des hinter den Kulissen geführten Kampfes von Provokateuren und politischen Gegnern gegen Burcev.

Die Dokumente vermitteln uns das Bild einer tragischen Gestalt: eines russischen Emigranten und revolutionären Einzelgängers, der beinahe ständig in der Fremde lebte, für den jedoch Rußlands Schicksal Ziel und Zweck seines Lebens war. Der Kampf gegen Provokateure, dieses „Geschwür der Emigration“, zuerst in den russischen revolutionären Parteien, dann in der russischen postrevolutionären Emigration, die Entlarvung von Agenten der sowjetischen politischen Geheimpolizei VČK-GPU-OGPU-NKVD wurde zu Burcevs Zwangsidee. Das endete gegen sein Lebensende mit dem Verlust seines Prozesses in einem Schiedsgericht: Burcev führte ihn gegen den emigrierten Schriftsteller V. P. Krymov. Der „Jäger auf Provokateure“ legte ihm u. a. seine Verbindungen mit dem Schriftsteller E. I. Zamjatin zur Last, der 1931 wegen der Veröffentlichung seines berühmten Romans My [Wir] im Ausland aus der UdSSR emigrieren mußte. Die Veröffentlichung des Romans in Sowjetrußland war verboten.

Der wertvollste Teil des Burcev-Archivs ist sein privater Briefwechsel mit Vertretern verschiedener politischer Schichten der russischen Emigration, mit Schriftstellern, Historikern und Auslandskorrespondenten. Die Briefe liefern eine erschöpfende Information über Burcev als Politiker, aber auch als Mensch, und bilden außerdem eine wichtige Quelle für das Studium der russischen revolutionären und „weißen“ Bewegung.

Fast alle Personen, die in der hier veröffentlichten „Archivauskunft“ genannt werden, standen entweder im persönlichen Briefwechsel mit Burcev, oder ihre Namen kommen in seinem Briefwechsel mit anderen Korrespondenten vor (Auszüge aus einigen Briefen werden in den Fußnoten zitiert). Der Inhalt der Briefe erlaubt es, jene Nachrichten, die in den zahlreichen Meldungen und Berichten der französischen Behörden und der deutschen Polizei ihren Niederschlag fanden, zu präzisieren und zu erweitern sowie Burcevs politische Ansichten zu klären.

Charakteristisch für Burcev war „der aufrichtige Wunsch, allen entgegenzukommen, die zu gegebener Zeit den gleichen Weg wie er gingen“,[7] wie auch jenen, die „sich über das Verbrecherische und Abscheuliche ihrer Tätigkeit klar geworden sind“,[8] d. h. jenen, die im sowjetischen Dienst oder im GPU-Dienst gestanden hatten und dann zu den Nichtheimkehrern stießen. Obwohl über ihre moralischen Eigenschaften im Bilde, hielt sie Burcev nichtsdestoweniger für eine „Quelle zum Schöpfen von Fakten“[9] und für seine Verbündeten, die ihm im Kampf gegen seinen Erzfeind – den Bolschewismus – halfen. Unter ihnen befanden sich Provokateure, Mitarbeiter der französischen nationalen Sicherheit und Agenten ausländischer Nachrichtendienste.

Eine tragische Tatsache in Burcevs Leben während seiner fünften Emigration (1918–1942) war seine 20jährige Freundschaft mit dem ehemaligen Zarengeneral P. P. D’jakonov, der ab 1924 aus eigenem Antrieb und aus ideellen Erwägungen mit der sowjetischen politischen Geheimpolizei zusammenarbeitete.

Die russische Emigration, die den Bürgerkrieg verloren hatte, konnte sich nicht zusammenschließen, wozu Burcev so ungestüm aufrief, und verlor auch im verdeckten Krieg gegen den sowjetischen Nachrichtendienst. Bei der Charakterisierung der Mitglieder des Wrangelschen Russischen Rates gab Burcev zu: „Viele von ihnen dienten in ausländischen Abwehrdiensten bereits in Kon-l [Konstantinopel]. Zuerst herrschte in der Emigration ein heilloses Chaos bei der Arbeit in dieser Richtung, Dokumente wurden gefälscht, Geheimdokumente verkauft u. a.“.[10] Eine Fälschung war auch ein „aus sicherer Quelle“ erhaltener „vom 10. Juni 1921 datierter Brief Lenins an einen seiner alten Bekannten“, den zu veröffentlichen General Miller, Leiter des Russischen Allgemeinen Militärbundes, Burcev bat.[11]

Nach Lenins Rückkehr nach Rußland im Frühjahr 1917 schaltete sich Burcev aktiv in die Arbeit des französischen Nachrichtendienstes in Petrograd ein, bei der es ihm darum ging, Beweise für Lenins Verbindung mit dem deutschen Generalstab aufzudecken. In der „Akte mit Angaben der französischen Gegenaufklärung für Juni 1917“ ist eine Information zu finden, in der es sich um die mögliche Schaffung einer Gegenaufklärung in Rußland handelt; in dieser letzteren war Burcev eine wichtige Rolle in der Presseabteilung zugedacht.[12]

In einem Brief nach Berlin, an seinen ständigen Korrespondenten Anatolij Jakovlevič (Familienname wird nicht genannt), schrieb Burcev 1931, ihm fehlten Materialien „über die Einstellung von Ludendorff, Nicolai, von Čičerins Freund Brockdorff-Rantzau, Maltzan und Co. zu den russischen Bolschewiki wie auch überhaupt über die faktische Unterstützung der russischen Bolschewiki durch die Deutschen“.[13] Wie aus diesen Worten hervorgeht, hatten Burcevs frühere Beweisversuche, daß die Bolschewiki deutsches Geld bekommen hätten, nicht das erwünschte Resultat gezeitigt. An diese Tätigkeit zog Burcev auch Mitarbeiter des französischen Nachrichtendienstes heran, wovon Sissons Briefe an Burcev zeugen.[14]

Der Erforscher dieses Themas S. P. Mel’gunov, Autor des Buches Der deutsche goldene Schlüssel der Bolschewiki, konstatierte 1940:

„Unser Historiker der revolutionären Bewegung und des politischen Spitzeldienstes hat in seinen zahlreichen Artikeln bisher keine konkreten Beweise angeführt, wenn er sich auch auf ‚offizielle Dokumente‘ berief, die sich in seinen Händen befunden und ‚Lenins und Trockijs Kontakte mit Vertretern der deutschen und der österreichischen Polizei und Militäraufklärung‘ nachgewiesen“ hätten.[15]

Das Thema der bolschewistisch-deutschen Verbindungen, der Einstellung Burcevs und anderer namhafter Vertreter der russischen Emigration zu Deutschland taucht in vielen Archivsachen auf, die den Bestand 5802 des GA RF bilden. Die Dokumente zeugen von dem Streben I. I. Kolyškos, den die Provisorische Regierung Rußlands im Sommer 1917 als einen deutschen Agenten verhaftete, sich vor Burcev zu rechtfertigen und zu beweisen, daß jeder gegen ihn gerichtete Verdacht, mit den Deutschen zusammengearbeitet zu haben, nur Rache seiner politischen Gegner sei.[16] Im Archiv wird ein Brief von General P. N. Krasnov an Burcev aus dem Jahre 1920 aufbewahrt, worin Krasnov Punkt für Punkt die Gründe seiner pro-deutschen Orientierung darlegt.[17] Im Bestand befindet sich ferner ein offener Brief von Oberst Potapov an Burcev aus dem Jahre 1922. Potapov schrieb ihn „im Namen der Mehrheit der russischen Emigration: der Freunde Deutschlands, die die Interessen Rußlands richtig aufgefaßt haben.“[18] Aus den Dokumenten folgt, daß Burcev den pro-faschistischen russischen Organisationen feindlich gegenüberstand: Er befürchtete, daß mit Hitlers Machtantritt in Deutschland die Gefahr eines neuen europäischen Krieges und einer Aufteilung Rußlands zunehmen werde; aktiv kämpfte Burcev gegen den hitlerischen Antisemitismus. Wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkrieges schrieb Burcev: „Wie damals, so auch jetzt halte ich mich an folgende unabdingbare Postulate: Rußland, Kampf gegen die Bolschewiki, Bündnis mit Frankreich und unversöhnlicher Kampf gegen Deutschland.“[19]

Burcev formulierte sein politisches Credo wie folgt:

„Ich bin der Linke der Linken, Demokrat, Sozialist [...] Demokratismus und Sozialismus bilden (wenn richtig verstanden) eine gewaltige weltweite Kraft. Ihrem Einfluß wird sich Rußland niemals entziehen. Keine chinesischen Mauern werden es von dieser weltweiten Kraft absperren. Die Bolschewiki halten sich in Rußland deshalb, weil sie sich, wenn auch verlogen, doch auf diese Prinzipien stützen.“[20]

(Boris Chavkin)


Aus V. L. Burcevs „Personalakte“

Archivauskunft

Nach der Februarrevolution gab die Provisorische Regierung Burcev (angeblich dank seiner Verbindung mit Surevič, Präfekt der Petrograder Polizei) die Möglichkeit, in die Archive der zaristischen Geheimpolizei Einblick zu nehmen.[21]

Im Ergebnis veröffentlichte Burcev eine schwarze Liste von 15 Agents provocateurs, die bald danach in die Peter-Pauls-Festung eingesperrt wurden; untersuchte die Tätigkeit des Agenten Dolin[22] weiter, der sich das Leben genommen und davor Burcev einen Brief geschickt hatte, auf dessen Publikation man mit Interesse wartete; enthüllte die provokatorische Tätigkeit von Nosar’;[23] vertraute nach wie vor Rodštejn,[24] der schon 1911 verdächtigt worden war, ein Provokateur zu sein; suchte Kerenskij davon zu überzeugen, daß Lenin und andere Bolschewiki zu verhaften seien.

Die in Wien herausgegebene Zeitung Nedelja[25] brachte am 23. April./6. Mai 1917 eine Notiz darüber, daß Burcev Kropotkin[26] ein Telegramm nach London mit der nachdrücklichen Bitte abgesandt habe, nach Petrograd zu kommen.

In Petrograd gab Burcev die Zeitung Obščee delo[27] weiter heraus, in der er Lenin verleumdete.

In der Zeitung La Victoire[28] vom 16. August 1917 erschien eine Erklärung Burcevs („eines großen russischen Revolutionärs, der Lenin und dessen Helfershelfer entlarvt hat“) über seine Einstellung zu den russischen Parteien, unter denen er besonders die Konstitutionellen Demokraten („Kadetten“) hervorhob; ferner erklärte er die Gründe seiner Ausfälle gegen Černov[29] und Maksim Gor’kij;[30] auch schrieb er, daß der Name Jaurès[31] künftig weit mehr bedeuten werde als der Name Marx.

Gleich am ersten Tag der Großen Oktoberrevolution wird Burcev verhaftet; über französische Journalisten, die ihn im Gefängnis besuchen, übergibt er neue verleumderische Erdichtungen über Lenin für die ausländische Presse.

Fünf Monate später gelingt es Burcev „dank eines glücklichen Zusammentreffens von Umständen“, aus dem Gefängnis zu fliehen, er hält sich geheim in Petrograd auf und reist dann ins Ausland aus. In London trifft er sich mit Kerenskij,[32] mit dem er in Fragen eines Interventionskrieges gegen Rußland zusammenzuarbeiten bereit ist, gibt in Stockholm ein Interview für die Zeitung Le Matin[33] und schreibt für diese Zeitung Artikel, in denen er zur Intervention aufruft.

Anfang August 1918 kommt Burcev nach Paris, wo ihn Rodštejn und Lebedev[34] empfangen; er trifft sich mit russischen und französischen Journalisten, darunter mit Rubanovič[35] und Gustave Hervé,[36] verkündet seine Unabhängigkeit von jeder Partei und gibt seine Absicht bekannt, zusammen mit der Entente im Kampf „für ein großes und unteilbares Rußland“ mit allen Parteien zusammenzuarbeiten. Um Burcev gruppieren sich Vertreter aller russischen Organisationen, die sich von Burcevs Aufrufen, „Rußland zu retten“, gegen die Bolschewiki und gegen Deutschland zu kämpfen, angezogen fühlen. Er hat Gespräche mit General Gurko,[37] dem Militärattaché A. Ignat’ev,[38] der ihm angeblich Archive zur Verfügung gestellt hat, mit A. Thomas[39] und Pichon,[40] die ihm ebenfalls Hilfe anbieten.

Burcev agitiert für eine Intervention in Sibirien und ist bereit, seinerseits zur Armee der Alliierten in Vladivostok zu stoßen.

Die Russische Republikanische Liga[41] versorgt Burcev mit Mitteln zur Veröffentlichung von 10.000 Exemplaren seiner Broschüre Fluch über euch, ihr Bolschewiki! („Offener Brief an die Bolschewiki“, den er am 20. Mai 1918 schrieb).[42] Das Außenministerium Frankreichs billigt die Herausgabe dieser Broschüre in russischer Sprache, und im Dezember 1918 veröffentlicht das Propagandabüro der französischen Presse die Broschüre (liegen in der Personalakte vor).

Am 15. September 1918 nimmt Burcev in Paris die Herausgabe der Zeitung Obščee delo ab Nr. 24 wieder auf (Nr. 29 vom 31. Oktober 1918 liegt vor). Die Auflage beträgt 6.000 Exemplare, die Zeitung erfreut sich großer Popularität in der russischen Kolonie in Frankreich und unter den Soldaten des Russischen Expeditionskorps in Frankreich,[43] aus dem an die Redaktion viele Briefe mit Dankesworten für die Zeitung eingesandt wurden. In dieser Zeit lebte Burcev in Paris, Rue Toullier 7.

Im Oktober 1918 gab Burcev seine Absicht bekannt, eine neue Kampagne gegen Lenin und die Bolschewiki einzuleiten, erklärte, in der Schweiz werde ein Komplott der Bolschewiki und der Monarchisten gegen die Ententeländer vorbereitet, usw.

Im selben Monat erhielt die Botschaft Frankreichs in Bern einen Brief von einem Unbekannten mit der Bitte, seine „geheimen Nachrichten“ einem sehr bekannten Redakteur in Paris zu übermitteln. Der französische Nachrichtendienst stellte sofort fest, daß es sich um Burcev handelte, weil das Material im Brief unverkennbar antisowjetisch war.

Im November bat das Verlegerkomitee der Zeitung Russkij Soldat – Graždanin vo Francii[44] [Russischer Soldat und Bürger in Frankreich] Burcev um Unterstützung, da sich der amerikanische Christliche Verein Junger Männer (YMCA) weigere, die Zeitung zu unterhalten, und da es Komplikationen mit der Zensur gebe. Burcev setzte sich in seiner Zeitung für den Russkij Soldat ein; er hatte sogar vor, später mit Unterstützung des YMCA statt dieser eine andere Zeitung herauszugeben.[45]

In den Sitzungsprotokollen der Russischen Republikanischen Liga für November 1918 sind Hinweise darauf enthalten, daß die Liga vorschlug, Burcev zu dem in Entstehung begriffenen Rat des Blocks[46] aller Emigrantenorganisationen heranzuziehen, und daß Burcev einer Versammlung verschiedener russischer Organisationen beiwohnte, in der man „nach langwierigen Diskussionen ein Übereinkommen auf der Basis des Programms der ‚Ufa-Regierung‘[47] erzielte.“

Am 17. Dezember 1918 erhält Burcev aus Bern ein Telegramm vom ehemaligen georgischen politischen Emigranten Ivan Šavišvili,[48] der Burcev in sehr wichtigen Angelegenheiten zu sprechen wünschte.

Neben der Zeitung Obščee delo leitet Burcev im Dezember 1918 zwecks Erweiterung seiner antisowjetischen Tätigkeit die Gründung der russischen Telegrafenagentur Union[49] (Boulevard St. Michel 49) ein, die ihre Vertreter in europäischen und amerikanischen Ländern hatte.

1918 führte Burcev angeblich eine Kampagne gegen Kerenskij, der in die USA ausreisen wollte; im Ergebnis gab Kerenskij die Ausreise auf.

Ab Ende Januar 1919 wohnte Burcev im Pariser Hotel „Trianon“ (Rue de Vaugirard 1 bis), während die Redaktion der Zeitung Obščee delo ins Haus am Boulevard St. Michel umzog.

Neben Burcevs Agentur in Paris wird im Januar 1919 eine weitere Agentur unter dem gleichen Namen geschaffen; sie sollte Wrangels Propaganda verbreiten (als Übersetzerin war Mlle Plekhanoff[50] tätig) und war eng mit Burcevs Agentur verbunden.

Ein französischsprachiges Exemplar des Nachrichtenblattes von Burcevs Agentur Union, Nr. 20, liegt vor.

Im Februar 1919 veröffentlicht Burcev Artikel in der Rubrik Brestskoe delo [Der Fall Brest]. Im April fordert die Humanité[51] Burcevs Ausweisung aus Frankreich. Im September vermerkt die französische Polizei stark besuchte nächtliche Versammlungen mit Burcev an der Spitze (Place de la Sorbonne 5) und meldet, daß Burcev wichtige Dokumente über die neue Sowjetregierung und Lenin bekommen habe, sie jedoch nicht publizieren und den Alliierten übermitteln wolle.

In jenem Jahr verfolgt Burcev sehr aufmerksam die Tätigkeit der russischen Monarchisten in Frankreich, namentlich die von Korsakov,[52] dem Herausgeber von Novaja Rossija [Neues Rußland],[53] den er zu beschatten verfügt.

Burcevs Personalakte enthält Telegramme von Korrespondenten der Union aus Reval, Warschau, Berlin (1919, 1920) mit an Burcev in Paris gerichteten Mitteilungen über die Lage an den Fronten des Bürgerkrieges; außerdem den Wortlaut des Schreibens einer Gruppe französischer Sozialisten (1. Februar 1919) an Burcev als einen „Vertriebenen der ehemaligen russischen Monarchie und der Bolschewiki“ mit der Bitte zu erklären, warum er sich weigere, mit Lenin und Trockij zusammenzuarbeiten. In anderen französischen Beständen befindet sich ein Exemplar der Broschüre L. Andreevs Na pomošč’! SOS [Hilfe! SOS][54] mit Burcevs Vorwort, das am 20. März 1919 geschrieben wurde (die Broschüre erschien am 24. März in der Pariser Druckerei der Union); einen Brief von S. Potechin[55] aus Nizza an die Redaktion der Zeitung Russkaja respublika[56] (3. November 1919), worin der Schreiber bedauert, daß die Zeitung in den Kiosken von Nizza in sehr beschränkter Anzahl angeboten werde: „Eine große Reklame tut not – der Moment ist günstig, da Burcevs Aktien in der öffentlichen Meinung stark gefallen sind.“

In den letzten Dezembertagen von 1919 begibt sich Burcev nach Südrußland, um die Gründe des Rückzugs von Denikins Armee zu klären.

Am 27. April 1920 bringt die Humanité einen Artikel über Verbindungen zwischen der Konterrevolution und den Weißemigranten sowie darüber, daß Kolčak, Denikin und Judenič die antibolschewistische Tätigkeit von Burcev, Aleksinskij[57] u. a. finanziell unterstützen.

Im persönlichen Dossier über Burcev gibt es Beweise für seine Verbindungen mit der Konterrevolution: eine Kopie seines Telegramms aus Paris (Rue Montmartre 142) vom 6. März [1921] an Alekseev,[58] an die französische Mission in Helsinki: „Nach Kronstadt, Petrograd übermitteln. Organisation russischer Industrieller und Kaufleute in Paris trifft eilig Maßnahmen zur Versorgung der Aufständischen. Versorgung von Kronstadt gesichert“;[59] die Kopie eines Telegramms A. Bogaevskijs[60] aus Konstantinopel an Burcev: „Ich bin bereit, die Kosaken von Don, Kuban, Terek und Astrachan’ auf der Konferenz von Charlamov[61] und Syčev[62] zu vertreten. Bitte sie darüber zu benachrichtigen.“

Am 1. Juni 1920 berichtete der Chef der französischen Militärmission in Südrußland General Mangin[63] über die im April erfolgte Beschlagnahme eines Pakets mit Exemplaren der Zeitung Obščee delo, die in Exemplare der Humanité, des Populaire[64] und der Vague[65] eingeschoben waren. In einem Brief an das Außenministerium Frankreichs (liegt in der Personalakte vor) erklärt Burcev das mit seiner langjährigen, noch aus der zaristischen Zeit stammenden Gewohnheit, seine Ausgaben in Zeitungen seiner politischen Gegner einzuschieben, um die Wachsamkeit der Zensur einzuschläfern.

Gemäß einer Übersicht der polnischen Presse für Mai 1920, die vom 2. Büro der französischen Militärmission in Polen zusammengestellt war, stand Burcev negativ zur polnischen Intervention in Rußland und zum Bündnis Polens mit Petljura.[66] Er erklärte, daß Polen „seinen Fehler noch wiedergutmachen kann, wenn es mit Petljura bricht und den russischen Patrioten die Freundschaftshand reicht.“

Im Juli 1920 veröffentlichte Burcev in der Gazette des Vosges einen Artikel, worin er zu einem Kreuzzug gegen die Bolschewiki aufrief und den Deutschen die Verantwortung für die Ereignisse in Rußland auferlegte. Als Antwort darauf veröffentlichte der Minister für Auswärtige Angelegenheiten Deutschlands[67] in der Deutschen Allgemeinen Zeitung einen Artikel, worin er der Hoffnung Ausdruck gab, Deutschlands Jugend werde Burcevs Aufruf nicht Folge leisten.

In Meldungen über Mitglieder der Partei der Konstitutionellen Demokraten in Frankreich war von den Freimaurern Vinaver[68] und Pasmanik[69] die Rede, die angeblich von den Freimaurerlogen die geheime Mission erhalten hatten, eine Kampagne unter den Kadetten zu führen. Pasmanik, hieß es in einer Meldung, habe seine Kampagne mit Unterredungen mit Burcev begonnen, „dessen Unkenntnis und politische Kurzsicht allgemein bekannt sind“.

1920 überließ N. Čajkovskij[70] einen beträchtlichen Betrag aus den Mitteln, die der ehemaligen provisorischen Regierung in Archangel’sk gehört hatten, Burcevs Zeitung Obščee delo, deren Redaktion in die Räumlichkeiten der Zeitung Victoire umgezogen war. Im Obščee delo kritisierte Burcev Wrangel[71] und die Monarchisten und nannte sich stolz einen Demokra­ten. In jenem Jahr richtete das Mitglied des ZK von Edinstvo [Ein­heit][72] A. Brailovskij[73] folgendes Telegramm an Burcev: „Geflohen aus Rostov. Habe viele wichtige Dokumente, will nach Paris kommen, an der Kampagne gegen die Bolschewiki teilnehmen. Bitte an die französische Mission in Sevastopol telegrafieren.“

Den Wunsch, an Burcevs Kampagne teilzunehmen, äußerte auch A. Rezanov,[74] ehemaliger Mitarbeiter der Generalstaatsanwalt der Militärjustiz.


1920 beteiligte sich Burcev zusammen mit Morkotun[75] an der Ausarbeitung einer föderativen Autonomie für die Ukraine, bildete in Belgrad, Sofia und Prag ukrainische Komitees, zu welchem Zweck er angeblich 1,2 Mio. Francs erhalten hatte. In einer der Meldungen heißt es u. a.: Als Wrangel „dank den weisen Ratschlägen von Burcev, Savinkov[76] und Struve[77] ein demokratischeres Programm annahm“, sei Morkotun zu ihm nach Sevastopol zu Verhandlungen über eine ukrainische Autonomie eingeladen worden. Nach Ansicht des französischen Nachrichtendienstes entsprach Burcevs und Morkotuns diesbezügliche Tätigkeit den Interessen Frankreichs.

Im Juli und August 1920 hielt sich Burcev in Berlin auf,[78] um ein ukrainisches Zentralkomitee zu bilden, und veröffentlichte dort seine Broschüre Bor’ba protiv bol’ševikov prežde vsego [Kampf gegen die Bolschewiki vor allem], die in Simons’ Deutscher Allgemeiner Zeitung (15. September 1920) kritisiert wurde. Sofort verlautete es, daß Burcev kurz davor Dokumente gekauft hatte, die Simons kompromittierten. In diesem Zusammenhang leitete Maltzan[79] eine Untersuchung ein.

1920 reiste Burcev nach Warschau (wo er in der russischen Zeitung Svoboda[80] [Freiheit] einen verleumderischen Artikel veröffentlichte) und nach Prag, wo er bei den Sozialrevolutionären, darunter bei Minor,[81] eine feindliche Aufnahme fand. Sie weigerten sich, Burcev als Mitglied ihrer Partei anzuerkennen.

Im Winter 1920 nahm Beneš[82] in Paris Kontakt mit Burcevs Gruppierung auf und lud ihre Vertreter nach Prag zwecks gemeinsamen antisowjetischen Kampfes ein. Die erfolgreichen Verhandlungen über dieses Thema wurden wegen einer Kampagne gegen Burcev in der sozialistischen Presse abgebrochen. Beneš nahm Beziehungen zu Kerenskij, Minor und Zenzinov[83] auf, die ihm erklärten, daß gerade sie, die Sozialrevolutionäre, die wahren Vertreter der russischen Demokratie seien und daß sie „den Kampf sowohl gegen die Diktatur von Lenin und Trockij als auch gegen die Diktatur von Kolčak und Denikin“ führten.

Am 15. November 1920 schlossen sich Burcevs Agentur Union und die Rusagent zur Agentur Rusunion zusammen.

Ende Dezember kam Burcev aus Konstantinopel nach Paris, von wo aus er die USA und Berlin aufzusuchen beabsichtigte.

Laut Mitteilungen für jenes Jahr standen Burcev angeblich zwei Pariser Zeitungen, eine in Konstantinopel (Presse du Soir),[84] eine in Berlin (in deutscher Sprache) und eine in Prag zur Verfügung.

Am 25. Januar 1921 erschien der französische Kommunist Vaillant-Couturier[85] in Begleitung der Witwen der französischen Sozialisten Vergeat und Lepetit in der Redaktion der Rusunion und verlangte eine Zusammenkunft mit Burcev und das Vorlegen von Beweisen dafür, daß Lefèbvre, Vergeat und Lepetit in Murmansk durch sowjetische Agenten ermordet worden seien.[86]

Vaillant-Couturier erklärte entschieden, all das sei Bestandteil einer politischen Kampagne gegen die Kommunisten, und dem wollten sie ein Ende setzen. Wie mitgeteilt wird, nahmen die jungen Kommunisten aus der Humanité, deren Redaktion im selben Gebäude wie die Redaktionen von Obščee delo und Rusunion lag, eine sehr feindliche Haltung zu Burcevs Tätigkeit ein: Sie rissen die Bekanntmachungen seiner Redaktionen ab, machten die Schreibmaschinen kaputt und hatten angeblich die Absicht, die Räumlichkeiten beider Redaktionen zu besetzen. Burcev war zu dieser Zeit wahrscheinlich in Berlin, wohin er zu Verhandlungen mit den Mitarbeitern der Rusunion gefahren war und wo er ein Referat halten wollte.

Im Februar 1921 traf Aleksinskij,[87] der Burcevs Mitarbeiter genannt wird, in Konstantinopel ein, um die Verhandlungen mit Wrangel fortzusetzen und ihn zu überreden, ein „demokratischeres Programm“ zu akzeptieren.

Am 10. März 1921 sandte Burcev ein Telegramm an Okulič[88] nach Boston: „Unser Programm zur Zeit absolut notwendig. Situation in Obščee delo sehr kritisch. Unternehmen Sie alle Anstrengungen, um uns zu helfen.“

Am 11. März 1921 empörte sich Burcev in einem Artikel in der Victoire über das Schweigen von Lenin und Cachin[89] zu seinen verleumderischen Artikeln über sie beide.

Der französische Nachrichtendienst bedauerte angesichts des bevorstehenden Verkaufs der Zeitung Victoire, daß deren Mitarbeiter Burcev und deren Besitzer Hervé „kurz vor dem Fall der Bolschewiki“[90] einen Mißerfolg erlitten, weil Burcev „der einzige Russe“ sei, „dessen Haltung gegenüber Frankreich makellos ist, deshalb wird er durch den Verlust der Victoire auch eine internationale Tribüne verlieren“.

Im April 1921 veröffentlichte Burcev eine Mitteilung darüber, daß die französischen Behörden angeblich die Kosaken der Wrangel-Armee gewaltsam nach Rußland evakuierten, was ein offizielles Dementi der französischen Regierung nach sich zog.[91]

Auf Initiative von Burcev, Fedorov,[92] Kartašev[93] und anderen entstand im Juni 1921 ein russisches Nationalkomitee,[94] das verschiedene Organisationen der Weißemigranten im Ausland vereinigte. Am 5.–9. Juni 1921 fand ein Kongreß dieser Vereinigung statt, wovon der Vorsitzende des Komitees der Vereinigung Burcev und der Sekretär Semenov[95] das Innenministerium Frankreichs in Kenntnis setzten.

Fl. Klepikov[96] schrieb an Savinkov am 27. September 1921 aus Vladivostok, daß er über Maklakov[97] unter Benutzung einer Chiffre Informationstelegramme an Burcev schicke und ihm auch eine Kopie des Memorandums über den Fall des Journalisten A. P. Fridlender[98] geschickt habe mit der Bitte, diese Sache in der europäischen Presse und in den entsprechenden ausländischen Einrichtungen und Organisationen zu unterstützen.

In jenem Jahr steckte Burcevs Zeitung in finanziellen Schwierigkeiten, erhielt jedoch unerwartet eine Hilfe in Höhe von 40.000 Francs im Monat vom Bund der russischen Financiers und Industriellen in Paris,[99] was Vera Gladyš,[100] Korrespondentin der Zeitung Obščee delo in Berlin, mitteilte; vor dem Krieg hatte sie mit Burcev in der Partei der Sozialrevolutionäre gearbeitet (Tochter des ehemaligen Chefs der zaristischen Geheimpolizei Manasevič-Manujlov,[101] laut Angaben von 1923 Agent der Berliner Polizei und Orlovs[102]).

Gemäß der Meldung eines Agenten des französischen Nachrichtendienstes erhielt Burcev den Großteil der Angaben über Sowjetrußland von Gamilton,[103] einem russischen Offizier aus der Umgebung von General Miller.[104]

Bei der Analyse von Burcevs Artikeln im Obščee delo bemerkte der französische Nachrichtendienst eine Änderung in Burcevs politischem Programm: Nun rief er zum individuellen Terror gegen Vertreter der sowjetischen Führung auf.

Am 11. Dezember 1921 warf Ch. Rappoport[105] in einem Artikel in der Humanité Burcev die Manie des politischen Mordes vor, man habe ihn schon vor der Revolution einen Bombisten genannt, mit dem kein ernster, auf sich haltender Revolutionär habe zusammenarbeiten wollen.

Am 7. Januar 1922 erschien in der Zeitung Liberté[106] eine Notiz über russische Emigrantenorganisationen, worin neben Monarchisten, Kadetten und der Warschauer Gruppe eine Gruppe von Emigranten hervorgehoben wurde, die sich in der Zeitung Obščee delo um Burcev vereinigt habe und sehr energisch, doch viel zu buntscheckig sei.

Am 18. Januar 1922 erwähnte Ch. Rappoport in der Humanité einen Brief an das Novoe vremja,[107] den Ryss,[108] Gronskij,[109] Filippov[110] und Gabrilovič[111] geschrieben hatten. In dem Brief wurde Wrangel aufgefordert, der Agentur von Burcev, die viele bürgerliche französische Zeitungen mit ihren Falschmeldungen versorgte, Mittel zur Verfügung zu stellen.

Im Obščee delo kritisierte Burcev die Tätigkeit Nansens[112] bei der Hilfeleistung für die Hungernden in Rußland.

In einem Interview für die Zeitung Eclair[113] sprach Burcev wieder davon, daß Lenin seit 1914 Geldmittel von Deutschland (70.000) erhalten habe, bedauerte, daß die Dokumente darüber nach der Revolution in Deutschland nicht freigegeben worden seien, worum er die Alliierten und Kautsky[114] gebeten habe, und äußerte seine Befriedigung darüber, daß ihm jetzt, wenn auch mit Verspätung, E. Bernstein[115] zu Hilfe gekommen sei, der die gleichen Erdichtungen wie Burcev, nur mit anderen Ziffern (50.000), wiederholte. [In Wirklichkeit nannte Bernstein die Summe von 50 Millionen Reichsmark, die die deutsche Regierung den Bolschewiki 1917/18 zur Verfügung stellte; siehe dazu u. a. Pipes, Richard: Die russische Revolution. Berlin 1991 f., Band 2, S. 132 – Anm. d. Red.]

Im Januar 1922 teilte Burcev dem französischen Nachrichtendienst mit, er erhalte vom Chef des Aufklärungsbüros in Riga S. V. Karačevcev[116] regelmäßig Informationen für das Obščee delo.

In jenem Monat wurde aus einem vertraulichen Gespräch mit Burcev bekannt, daß die Zeitung Obščee delo trotz der Hilfe russischer Financiers die größten finanziellen Schwierigkeiten erlebte; daß Burcev entschlossen war, eine schonungslose Kampagne gegen die Teilnahme der UdSSR an der Genua-Konferenz einzuleiten; daß er über eine gegen ihn gerichtete Kampagne der politischen Gruppierung von Kerenskij und der finanziellen Gruppierung von Noulens[117] klagte sowie darüber, daß der Einfluß von Petit[118] in den politischen Sphären das Mißtrauen gegen ihn in den französischen Regierungskreisen erhöhe; daß er auf Bitte von General Ludendorff eine Reise nach Berlin antreten wolle, wo ihm Dokumente über Lenin übergeben werden sollten, die er in seiner abermaligen Kampagne anläßlich des Beginns der Konferenz gegen die Bolschewiki nutzen wolle.

In den Emigrantenkreisen verbreiteten sich Gerüchte, daß Savinkov, der sich in Paris mit Burcev getroffen hatte, Attentate auf die sowjetischen Vertreter in Genua vorbereite.

Am 20. Februar 1922 erhielt Burcev einen Brief von Wrangel mit der Einladung, im April nach Belgrad zu kommen, um, wie der Nachrichtendienst meinte, die Moral von Wrangels Truppen zu stärken und die antisowjetische Propaganda zu intensivieren. Burcev hoffte, daß die neue Annäherung an Wrangel ihm die Möglichkeit geben werde, Mittel für das Obščee delo zu erhalten. Kurz zuvor lehnte Burcev die ihm von Putilov[119] angebotene Hilfe ab, weil dieser sie an die Bedingung knüpfte, auf die Kampagne gegen die französisch-sowjetische Annäherung in den Handelsbeziehungen zu verzichten.

Im Dokument für den Monat Februar wird die Meinung des „russischen Exponenten“ Burcev über die Zeitschrift Smena vech[120] angeführt: Ihr Chefredakteur Ključnikov[121] ziehe eine Kampagne auf, die eine Spaltung der Gegner der Bolschewiki und eine Festigung der Sowjetmacht bewirken könne.

Im März suchte Burcev Belgrad auf, wo er Unterredungen mit Wrangel, Financiers und Industriellen pflegte, und reiste darauf nach Bulgarien, wo er ein Treffen mit Kutepov[122] und einen Besuch bei den russischen Truppen vorhatte.

Im April erhielt er angeblich das Angebot einer britischen politischen Gruppierung, in London eine Zeitschrift in englischer Sprache zu gründen: zwecks antisowjetischer Propaganda und der Kritik am Annäherungskurs Lloyd Georges an Deutschland und Rußland.

Auf dem Kongreß der russischen Monarchisten wurde in der Sitzung vom 16. November 1922 unter Vorsitz von N. Markov[123] der Beschluß gefaßt, eine Einheitsfront der Monarchisten mit dem rechten Flügel der Kadetten und dem Russischen Nationalkomitee unter Führung von Burcev zu bilden.[124]

In jenem Jahr wurde die Herausgabe der Zeitung Obščee delo aus Geldmangel eingestellt.

1923 führte Burcev eine Kampagne gegen Efimovskij[125] und Filippov.

Im September 1923 übermittelte Šul’gin[126] Burcev über Afanasev[127] einen Brief mit der Bitte, ihm bei der Publikation seines Briefwechsels mit Miljukov[128] aus dem Jahre 1918 zu helfen, da er Angaben über Miljukovs Verhandlungen mit den Deutschen in Kiev kurz vor dem Waffenstillstand enthalte.

Burcev lebte in jener Zeit im Elend, war von seinen Freunden und Mitarbeitern verlassen und hielt sich nur dank der Unterstützung seitens der Zeitung Victoire und des Russischen Nationalkomitees über Wasser.

Im Januar 1924 erhielt Burcev die ersten Abzüge seiner Erinnerungen, die er in Berlin zu drucken beabsichtigte.[129] Nach ihrer Veröffentlichung wollte er erneut den Kampf gegen die Bolschewiki aufnehmen, wieder ein aktives politisches Leben beginnen und Mittel für seine Zeitung beschaffen. Schon war er mit einer konstitutionellen Monarchie in Rußland, allerdings mit einer nach einem Volksentscheid verkündeten, einverstanden. Ein „fanatischer Feind der Sowjets“, glaubte er nach wie vor an den Sieg der Konterrevolution und gab in tausenden Exemplaren den Aufruf heraus: Francuzy! Ne priznavajte russkich bol’ševikov [Franzosen! Erkennt die russischen Bolschewiki nicht an]. Er schickte den Aufruf den Mitgliedern der französischen Regierung, Abgeordneten, Senatoren und französischen Zeitungen; verbreitete ihn mit der Bitte, der Zeitung Obščee delo finanziell zu helfen, sprach im Aufruf auch von seinem Wunsch, den Kampf in den Spalten französischer Zeitungen fortzusetzen und die Herausgabe der Nachrichtenblätter der Rusunion wiederaufzunehmen; ferner schrieb er für die Zeitung Victoire den Artikel Kašen, storonniki Kašena i Lenin [Cachin, seine Anhänger und Lenin], worin er betonte, daß er seit den ersten Kriegstagen nicht müde werde, Lenin des Verrats zu beschuldigen; in einem Brief an Poincaré forderte er diesen auf, Rußland nicht anzuerkennen, in einem Brief an Lévy, den Vizepräsidenten der Liga der Franzosen, die Interessen in Rußland hatten, bat er, seinen Kampf gegen den Bolschewiki zu unterstützen, usw. (in der Personalakte vorhanden).

Burcev begann eine Kampagne gegen die französischen Abgeordneten Herriot,[130] Monzie[131] und andere, die Sowjetrußland besuchten, gegen Morkotun, der in Genua an den Verhandlungen mit der sowjetischen Delegation teilnahm, drohte, Dokumente über Herriots und Monzies Verhandlungen mit russischen Kommunisten, die Morkotun gestohlen worden seien,[132] zu veröffentlichen, ließ durchblicken, daß er sie, falls die Regierung dagegen sei, nicht veröffentlichen werde, allerdings unter der Bedingung, daß Morkotun ausgewiesen werde; auch suchte er nach Dokumenten über die Verhandlungen der Bolschewiki mit den linken französischen Parteien.

Im März unterhält sich Burcev wiederholt mit Wrangel über die Möglichkeit, die antisowjetische Propaganda in Frankreich zu erweitern. Wrangel verweigert Burcev seine Hilfe nicht, ist jedoch pessimistisch gestimmt: Großfürst Nikolaj,[133] der an die Spitze der weißen Emigrantenbewegung getreten war, habe Kutepov nach Paris bestellt, und die Bewegung werde monarchistisch, prodeutsch sein, Nikolaj begünstige Kadetten und Sozialrevolutionäre.

Über die Gerüchte, Frankreich werde demnächst Sowjetrußland anerkennen, äußerst beunruhigt, faßt Burcev den Plan, in diesem Fall nach Amerika auszureisen, um den Kampf fortsetzen zu können.

Im März merkt Burcev, daß er beschattet wird, zwei Unbekannte überfallen ihn. Nach wie vor ist seine finanzielle Lage prekär, er kann für das Obščee delo keine Mittel auftreiben.

Im Juni erscheint in Berlin der erste Band seiner Erinnerungen. Am 5. oder 6. August 1924 kommt Savinkov kurz vor seiner Abreise nach Rußland bei Burcev vorbei und informiert ihn über seine Absicht. Burcev ist höchst verwundert, denn er weiß, daß Savinkov keine Mittel für die Organisation des Terrors in der UdSSR hat, rät ihm von der Reise ab, sagt, dies könne ihn seinen Ruf als Revolutionär kosten. Lachend antwortet Savinkov: „Wenn ich sterbe, wird das ein schöner Tod sein, aber ein Vorgefühl sagt mir, daß ich Glück haben werde.“ Burcev beeilt sich, das Gespräch mit ihm abzuschließen, weil Savinkov und seine Helfer ihm nun verdächtig sind.[134]

Laut Meldungen für November 1924 beschloß das Russische Nationalkomitee, die Kampagne der Mißbilligung der UdSSR-Politik der französischen Regierung fortzuführen. Unter Burcevs und Pasmaniks Einfluß beabsichtigte der Vorsitzende Kartašev, in den französischen Kreisen, die zum Kabinett Herriot in Opposition standen, ebenfalls zu handeln, allerdings etwas vorsichtiger.[135]

Miljukov wird in seiner Personalakte so charakterisiert: „Wird allmählich kindisch“, sei nur dazu fähig, „sich endlos zu wiederholen gleich Burcev“. Laut Angaben für 1924 wohnte Burcev in der Rue Geoffroy Marie 1.

Anfang 1925 wartete Burcev auf seine Einbürgerung und wiederholte im Russischen Nationalkomitee nach wie vor und aus jedem Anlaß, er sei entschlossen, weiter gegen die Bolschewiki zu kämpfen.

Im Februar 1925 reiste Burcev nach Prag, wo er mit dem Russischen Historischen Archiv in Prag über den Verkauf seines Archivs, das angeblich Lenins Briefe und Autogramme enthielt, verhandelte. Da er mit dem Verkaufspreis von 30.000 Francs nicht einverstanden war, schloß er einen Vertrag darüber ab, aufgrund seiner Materialien einen „Kalender der russischen Revolution“ zusammenzustellen. Die Arbeit war in anderthalb Jahren abzuschließen, Burcev sollte dafür 2.100 Francs monatlich erhalten. Nach Angaben des französischen Nachrichtendienstes beobachtete ihn die sowjetische Botschaft in Paris im Zusammenhang mit seiner Absicht, sein Archiv zu verkaufen, sehr aufmerksam. Es liegt das Foto eines Dokuments der sowjetischen Botschaft in Paris vor, das einen Fragebogen enthält, darunter: „6. Presse. ‚Victoire‘. Ausführlich über die Rolle Burcevs, seine Verbindung mit Minor und Pläne bezüglich des Archivs.“

Im Mai 1925 kam Burcev auf Einladung des britischen Außenministeriums nach London zwecks Verhandlungen über sein Archiv, an dem das Außenministerium sehr interessiert war, weil in seinen Dossiers zu den sowjetischen Politikern und Diplomaten Angaben über deren vorrevolutionäre Tätigkeit fehlten. Unter Berufung auf seinen Vertrag mit dem Prager Historischen Archiv weigerte sich Burcev, das Archiv zu verkaufen.

Am 9. Juli 1925 veröffentlichte Burcev in der Zeitung Victoire einen Artikel, der in den Kreisen der Weißemigranten als unangebracht und taktisch fehlerhaft beurteilt wurde. Im Rechenschaftsbericht für das Jahr 1925 wird über die russischen Emigranten in Frankreich gesagt, daß nur Burcevs Russisches Nationalkomitee (Boulevard St. Germain 79) es vermocht habe, Menschen unterschiedlicher politischer Meinungen um sich zu gruppieren. Die übrigen Gruppen stritten sich über die Form der künftigen Macht in Rußland.

Dokumente für das Jahr 1926 fehlen.

Laut deutschen Dokumenten für 1927 beschuldige Burcev den Weißemigranten Šul’gin[136] nach seiner Reise in die Sowjetunion und der Herausgabe des Buches Tri stolicy [Die drei Hauptstädte], Verbindungen zur GPU hergestellt zu haben; Burcev erhalte zusammen mit S. P. Mel’gunov[137] Geld vom französischen Parfümeriefabrikanten Coty;[138] über Burcev werde viel im Zusammenhang mit der Operation „Trust“[139] geredet; Burcev wolle sich nach Berlin begeben, um Pfeils[140] Tätigkeit zu untersuchen; er führe in Warschau eine Untersuchung der Organisation „Russkaja pravda“[141] und trete in der Presse gegen den Friedensvertrag von Riga auf.

Ab 1928 wohnte Burcev unter der Adresse Place du Panthéon 19.

Laut Angaben für April 1928 sei Burcev einer der treuesten Redakteure der Zeitschrift Bor’ba za Rossiju[142] [Kampf für Rußland], des Organs der Partei der russischen Monarchisten, die die Politik des Russischen Nationalkomitees befolgte (ein Exemplar vom 1. Dezember 1929 liegt vor). Die Partei sei 1924 angeblich von Burcev und dem Publizisten Fedorov gegründet worden. Burcev arbeitet zu dieser Zeit in engem Kontakt mit der Organisation von General Kutepov zusammen.

Laut Meldungen der deutschen Polizei vom 6. Juni 1928 richtete das Russische Nationalkomitee an die amerikanischen Geschäftsleute einen offenen Brief (gedruckt in der Zeitung Vozroždenie [143] vom 4. Juni 1928) mit der Aufforderung, der UdSSR keine finanzielle und moralische Unterstützung zu erweisen und von Erdölkäufen bei ihr Abstand zu nehmen.

Es liegt ein Exemplar des Briefes von B. I. Nikolaevskij[144] an Vissarion Jakovlevič (Familienname fehlt)[145] vom 16. Juni 1928 vor, aus dem folgt, daß gegen ihn eine Kampagne im Gange sei und daß Burcev sich vor einer Teilnahme daran drücke.

Am 15. August 1928 nimmt Burcev die Publikation der Zeitung Obščee delo in französischer Sprache und am 10. November in russischer Sprache
wieder auf und teilt das Albert Sarraut[146] und Briand,[147] mit dessen Unterstützung er rechnet, brieflich mit (ein Exemplar der ersten Ausgabe der Zeitung liegt vor).

1929 setzt Burcev in seiner Zeitung seine „anklägerische“ Tätigkeit fort: Er beschuldigt A. N. Petrov,[148] einen Mitarbeiter von Großfürst Kyrill,[149] Provokateur zu sein und Verbindungen mit den Bolschewiki zu unterhalten; veröffentlicht Ispoved’ čekista [Beichte eines Tschekisten] von Dumbadze,[150] führt eine Kampagne zum Schutz des nach Burcevs Meinung infolge der Ränke der russischen Agenten aus Äthiopien ausgewiesenen Weißemigranten V. I. Gavrilov.[151] Erhalten hat sich das Original des Briefes Burcevs vom 27. August 1929 an Laurent[152] (ehemaliger Mitarbeiter des französischen Nachrichtendienstes in Petrograd) mit der Bitte, den Fall Gavrilov, der ihm und den Franzosen nützlich sein könne, zu beachten; er erinnert daran, daß Laurent ihn seit 1917 kenne und wisse, daß sein Leben vom Haß auf die Bolschewiki geprägt sei.

Im Mai 1929 hält Burcev in Rumänien Vorträge; bei einem Frühstück, das die Zeitung Naša reč’[153] [Unsere Rede] ihm zu Ehren gab, wiederholt er das, was er 1921 in Prag gesagt hatte: Die Sowjetmacht werde binnen eines halben Jahres fallen, wenn sich die gesamte Weißemigration vereinige.

In einer vom französischen Nachrichtendienst 1930 zusammengestellten Biographie Burcevs werden folgende Adressen angeführt, unter denen er von 1918 bis 1927 in Paris wohnte: Boulevard St. Michel 49; Rue Montmartre 165; Rue Quatregapes 16; ferner werden die Länder aufgezählt, in die er von 1923 bis 1929 reiste; Burcev wird ein Mensch von seltener Naivität, ein unversöhnlicher Gegner des Sowjetregimes genannt, der nach wie vor jene Kampfmethoden anwende, die er im Kampf gegen die zaristische Ochrana angewandt habe.

Es liegen vor: Exemplare der Zeitung Obščee delo vom 22. März 1930 und vom 10. April 1930 sowie Burcevs Visitenkarte und sein Brief an André Tardieu[154] vom 7. April 1930 mit der Bitte um ein Interview für die Umfrage „Frankreich und Rußland“.

1930 wirkt Burcev an der Zeitschrift Bo’rba za Rossiju weiter mit, schreibt im Juni einen Brief an die Zeitung Poslednie novosti[155] darüber, daß er mit der Zeitung Vozroždenie nicht einverstanden sei, die de Roberti,[156] den ehemaligen Generalstabschef von Kutepov in Novorossijsk, der Zugehörigkeit zur GPU beschuldigte, schreibt für die Zeitung Obščee delo einen Artikel über die Erinnerungen des ehemaligen GPU-Mitarbeiters Agabekov,[157] veröffentlicht einen Brief von Al. Gumanskij[158] (Orlovs Mitarbeiter in Berlin), der eine Untersuchung der Beschuldigungen einzu­leiten bat, er hätte Urkunden (darunter den Brief von Zinov’ev)[159] gefälscht.

Es liegen vor: ein Brief Burcevs an I. Dobkovskij[160] (Mitarbeiter der Zeitschrift von Žigulev)[161] vom 18. September 1930, der ihm wiederholt mit Mord drohte; ferner eine Kopie der Übersetzung von Burcevs Auskunft über die Ziele einer neuen Organisation, der AntiGPU,[162] die er gleichzeitig mit einem entsprechenden periodischen Organ gleich dem Obščee delo zu gründen hoffte.

Unter den ehemaligen russischen Offizieren stieg in jenem Jahr der Unmut über General Miller, weil seine Erklärungen und Diskussionen „von Leuten wie einem Burcev“ nachgedruckt wurden.

In den Dokumenten aus dem Jahr 1931 wird die wichtige Rolle von Burcevs Agent Evg. Dumbadze in der Organisation „Bor’ba“ von Besedovskij[163] erwähnt, ferner die Tätigkeit des Russischen National­komitees, zu dessen Mitgliedern auch Burcev gehörte (die Tätigkeit des Komitees beschränkte sich auf die Herausgabe von Flugblättern und Broschüren für die französische und die russische Intelligenz sowie der antisowjetischen Presse), die Ausreise A. Šišmarevs,[164] der wegen der provoka­torischen Tätigkeit gegenüber dem sowjetischen Konsulat aus Frankreich nach Belgien ausgewiesen wurde, wo ihn auf Burcevs Empfehlung hin der Mitarbeiter des Außenministeriums Kollon[165] dem Direktor der nationalen Sicherheit Belgiens vorstellte.

Ende 1931 wird Burcev wegen unterlassener Zahlung aus dem Hotel gewiesen und erhält eine Unterstützung von Bogovut.[166]

1932 führt Burcev eine Kampagne gegen die Mitarbeiter des Vozroždenie, denen er Verbindungen mit den Bolschewiki zur Last legt.

Vorhanden sind Exemplare der Zeitschrift Illjustrirovannaja Rossija[167] für das Jahr 1932 mit einem Artikel Burcevs über die Entführung von General Kutepov, worin versichert wird, daß daran mit der GPU verbundene Eurasier beteiligt seien (13. Februar 1932); und mit Burcevs Vorwort zu „sensationellen Enthüllungen des ehemaligen GPU-Mitarbeiters I. Sipel’gas-Ol’šan­skij“[168] (23. Juli 1932).

Laut Angaben von 1933 spricht sich Burcev zusammen mit Wrangel, Krasnov,[169] Amfiteatrov[170] und Metropolit Antonij[171] offen für die Unterstützung der Organisation „Bratstvo russkoj pravdy“[172] [Brüderschaft der russischen Wahrheit] aus; mit der Leitung seiner vom Faschisten Vonsjackij[173] finanzierten Organisation AntiGPU beauftragt er General D’jako­nov[174] und zieht zur Arbeit in der Organisation Chmara[175] und A. Šišmarev heran.

Laut Angaben für 1934 lautete Burcevs Adresse wie folgt: Hôtel des Capucines, Rue des Feuillantines 11.

Anfang 1934 erklärt Burcev, er habe erfahren können, daß die gesamte russische Front der extrem rechten Organisationen über ihren Vertreter Muratov[176] das Versprechen Japans bekommen habe, die russischen Monarchisten und Faschisten zu unterstützen, die die Absicht hatten, im Falle eines sowjetisch-japanischen Konfliktes in Vladivostok einen unabhängigen Staat zu proklamieren.

Im Mai und Juni 1934 stellte Burcev während seines Aufenthaltes in Belgien (auf Einladung einer verantwortlichen Person aus Belgiens nationaler Sicherheit) über den Germanophilen V. Gavrilov Verbindungen mit den antikommunistischen belgischen Kreisen und General B. Gartman,[177] Vorsitzender der ehemaligen russischen Kombattanten in Belgien, her. Die Zeitung Alerte[178] veröffentlichte Briefe von Burcev und Gartman.

Es liegen vor: ein Exemplar der Zeitung 7 dnej v illjustracijach[179] [7 Tage in Illustrationen] (vom 13. Oktober 1934), worin anläßlich des Mordes an König Alexander[180] von Jugoslawien eine Botschaft des Russischen Nationalkomitees (unterschrieben u. a. vom seinem stellvertretenden Vorsitzenden Burcev) abgedruckt wurde (die Botschaft war zuvor unmittelbar an den König geschrieben worden, als Ausdruck der Dankbarkeit für seine Weigerung, die UdSSR anzuerkennen); ein Exemplar von Burcevs Broschüre Kak Puškin chotel izdat’ Evgenija Onegina i kak izdal [Wie Puškin Eugen Onegin herausgeben wollte und wie er ihn herausgab] (einige Seiten aus Burcevs Buch über Puškin und Evgenij Onegin, das zum Druck vorbereitet wurde).[181] Die Broschüre kam 1934 in Paris im Verlag von O. Zeljuk[182] mit dem Vorwort des Autors heraus, der sich dafür einsetzte, Puškins Werke im Ausland „ohne die bolschewistische Zensur“ zu drucken. Ein Exemplar des Nachrichtenblattes der Agentur Service Mondial aus dem Jahr 1935, das in Deutschland (ab 1. Juni 1935 in französischer Sprache) erschien, berichtet über den Prozeß in Bern zur Untersuchung der „Protokolle der Weisen von Zion“, für den die jüdischen Kläger als Zeugen Burcev, Miljukov, Nikolaevskij u. a. bestellten.[183]

Der Bestand der Hauptverwaltung der nationalen Sicherheit von Frankreich enthält ein mit 1931–1935 datiertes Dossier über den Fall der Weißemigranten Koltypin-Ljubskij,[184] Zavadskij-Krasnopol’skij (Offizier, Mitglied des ROVS ), Šišmarev, Sipel’gas und anderer Lockspitzel, die sich in den sowjetischen Nachrichtendienst eingeschlichen und enge Kontakte mit Burcev hergestellt hatten, der, wie der Nachrichtendienst bemerkt, zu einem Werkzeug in den Händen dieser Leute wurde. Das Dossier weist folgende Angaben über Burcev auf: 1930 macht Burcev durch seine Artikel in Poslednie novosti und Obščee delo von sich reden, weil er darin behauptet, er wisse um die Wahrheit über Kutepovs Entführung; hierbei benutzt er nicht präzisierte Angaben, was zu einer äußerst scharfen Polemik zwischen Poslednie novosti und Vozroždenie führt. Burcev stellt Verbindungen mit Agabekov, Besedovskij, Bogovut-Kolomijcev und B. Lago[185] (der 1930 bei Burcev Zuflucht gesucht hatte) her. 1931 wird Koltypin-Ljubskij (ehemaliger Leutnant der Wrangel-Armee, der Verbindungen zu Hitlers Partei hatte) zu Burcevs Sekretär und stiehlt ihm Dokumente, die er dann der sowjetischen Botschaft anbietet (auf Forderung der sowjetischen Botschaft wird Koltypin-Ljubskij wegen seiner provokatorischen Tätigkeit aus Frankreich ausgewiesen). Im März 1933 nimmt Burcev über D’jakonov Kontakt mit Vonsjackij auf, der ihn bei der Untersuchung des Verschwindens von Kutepov und bei der Bildung der AntiGPU zu helfen bittet, und gibt zusammen mit ihm die Zeitung Naša žizn’[186] [Unser Leben] mit dem Stab in Sofia heraus.

Laut Angaben für 1936 nahm Burcev am Begräbnis von Gučkov[187] teil.

Laut Angaben für 1937 wohnt Burcev dem Pariser Vortrag Denikins anläßlich des 20. Jahrestags der Aufstellung der Weißen Garde bei; der Germanophile Malinin[188] bietet Burcev Mittel dafür an, in Paris eine russische nationalsozialistische Zeitung zu gründen; das Nationale Arbeitsbündnis der Neuen Generation (NTSNP, Nacional’no-trudovoj sojuz novogo pokolenija)[189] schließt mit der Gesamtrussischen faschistischen Partei[190] ein Abkommen darüber, in Paris die AntiGPU als Aufklärungszentrale für Gegenpropaganda zu schaffen, wozu es sich um die Unterstützung von Burcev, General Fok[191] u. a. bemüht.

Im Januar 1938 sagt Denikin bei seinem Vortrag in Paris, zum Kampf gegen die GPU aufrufend, nur Burcev allein versuche etwas zu tun, werde jedoch hart von den „Nationalisten“ angegriffen, von seinen Freunden dagegen nicht unterstützt.

Es liegt ein Ausschnitt aus Hervés Artikel in der Victoire (6. Juni 1939) „Großtat eines russischen Patrioten“ vor, worin er von seinem „edelmütigen Freund“ Burcev schreibt, der eine Großtat vollbracht habe, welche „die russischen Emigranten zum Nachdenken zwingen“ werde, und seinen Lebenslauf zurückverfolgt.

1939 veröffentlicht Burcev in Paris sein Buch Bol’ševistskie gangstery v Pariže [Bolschewistische Gangster in Paris] über das Verschwinden von General Miller und den Prozeß gegen Plevickaja,[192] schreibt an die Ehefrau von Skoblin[193] einen Brief ins Gefängnis mit der Bitte, ihm alles mitzuteilen, was sie von Millers Entführung wisse.

Unter den mit General Millers Entführung zusammenhängenden Dokumenten des französischen Nachrichtendienstes für das Jahr 1939 befindet sich ein Foto von „vier GPU-Agenten“: Burcev (als Schreiber des gefälschten Briefes an Miller), Besedovskij, A. Bay[194] (Herausgeber des antisowjetischen Blattes Nachrichten über Rußland) und Kindermann[195] (ein Student, der laut Humanité fünf Jahre zuvor in Moskau zum Tode verurteilt, dann begnadigt wurde und den Eindruck eines Idioten machte).

Im selben Jahr meldete der französische Nachrichtendienst, daß Burcevs Arbeit im Dienst der französischen nationalen Sicherheit (bei Prétot)[196] als Informant, wofür er 700 Francs monatlich bekomme, amtlich festgestellt worden sei. Burcev stehe in engem Kontakt mit der von Zavadskij-Krasnopol’skij geleiteten Organisation. Gleich Koltypin, Filonenko,[197] Svatikov u. a. stünden sie im Verdacht, zum sowjetischen Nachrichtendienst zu gehören, und würden beobachtet; im November 1939 werden Ergebnisse der Untersuchungen mitgeteilt, darunter Folgendes über Burcev: Er habe sieben Jahre lang in der Rue des Feuillantines 13 gewohnt, seit 1. Oktober wohne er bei Professor Svatikov,[198] Rue Festel de la Coulange 8, stecke im Elend, wisse nicht, wo er seine Dokumente unterbringen solle, sei mit der Weißemigration verbunden, die in die Entführung Millers und den von General Skoblin begangenen Verrat verwickelt sei, gelte in der russischen Kolonie als alter Ramolli, lebe inmitten von Provokateuren.

Laut Angaben für 1940 wohne Burcev in der Rue de la Convention 161 bis, beabsichtige, die Herausgabe der Zeitung Obščee delo wieder aufzunehmen; veröffentliche Artikel gegen den Schriftsteller Krymov,[199] der sich angeblich seiner Archive über die Tätigkeit des sowjetischen Nachrichtendienstes in Frankreich bemächtigen wolle; rufe die russischen Emigranten auf, ein nationales Bündnis zu bilden und zu diesem Zweck alle zu vereinigen, von Kerenskij bis zu Denikin, mit Ausnahme von Reaktionären und Germanophilen.

 

(Übersetzung: Nina Letneva)



[1] Burcev, V.: V pogone za provokatorami [Auf der Jagd nach Provokateuren]. Moskau Leningrad 1928 (Reprint: Moskau 1989).

[2] Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii [Staatliches Archiv der Russischen Föderation: im weiteren GA RF], Bestand 5802, Inventurliste 1, Akte 408, Bl. 11; Akte 724, Bl. 327.

[3] Über das RZIA siehe: Pavlova, T.F.: Russkij Zagraničnyj Istoričeskij archiv v Prage [Das Russische Ausländische Historische Archiv in Prag], in: Voprosy istorii, Heft 11/1990; Literaturnaja ėnciklopedija russkogo zarubež’a [Literarische Enzyklopädie des russischen Auslands], Bd. 2, T. II, Moskau 1997, S. 269–274; Popov, A.V.: Russkoe zarubež’e i archivy [Russisches Ausland und Archive], in: Dokumenty rossijskoj ėmigracii v archivach Moskvy [Dokumente der russischen Emigration in den Archiven von Moskau], Folge IV, Moskau 1998, S. 61–72, 150–155.

[4] Popov, A.V. 155.

[5] Über Burcevs Archive in Rußland und den USA siehe: Sikorov, N.A., Tjutjunnik, L.I.: V. L. Burcev i rossijskoe osvoboditel’noe dviženie. Po materialam CGAOR SSSR i CPA IML pri ZK KPSS [V. L. Burcev und die russische Befreiungsbewegung. Nach Materialien des ZGAOR der UdSSR und des Zentralen Parteiarchivs des Instituts des Marxismus-Leninismus], in: Sovetskie archivy, Heft 2/1989, S. 56–62; Flejšman, L.: Materialy po istorii russkoj i sovetskoj kul’tury [Materialien zur Geschichte der russischen und sowjetischen Kultur], in: Aus dem Archiv des Hoover Institute der Stanford University, 1992, S. 70–77; Budnickij, O.V.: Vl. Burcev i ego korrespondenty [Vl. Burcev und seine Korrespondenten], in: Otečestvennaja istorija, Heft 6/1992, S. 110–121.

[6] Das „Sonderarchiv“ ist die in der UdSSR größte Sammlung von ausländischen erbeuteten und damit zusammenhängenden Dokumenten. 1945 auf Berijas Befehl angelegt, war das „Sonderarchiv“ bis 1991 nur für den Dienstgebrauch bestimmt und als geheime Verschlußsache eingestuft, Zugang zu ihm hatten nur Mitarbeiter von Spezialdiensten und Rechtsschutzorganen, das Archiv war also geheim („geschlossen“). 1991 wurde das „Sonderarchiv“ für Wissenschaftler freigegeben und in „Zentrum der Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen“ (CChIDK) umbenannt. 1999 wurde es dem Russischen Staatlichen Militärarchiv (RGVA) angegliedert.

[7] GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 159 f.

[8] Ebenda, Bl. 442.

[9] Ebenda, Akte 64, Bl. 1 f.

[10] Ebenda, Akte 724, Bl. 457.

[11] Ebenda, Akte 406, Bl. 27.

[12] Ebenda, IL. 2, Akte 486, Bl. 34–38.

[13] Ebenda, IL. 1, Akte 724, Bl. 143 f.

[14] Ebenda, Akte 547.

[15] Mel’gunov, S.P.: Zolotoj nemeckij ključ bol’ševikov [Der deutsche goldene Schlüssel der Bolschewiki]. New York 1989, S. 50 f.

[16] GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 524.

[17] Ebenda, Akte 558.

[18] Ebenda, Akte 1940.

[19] Ebenda, Akte 724, Bl. 97.

[20] Ebenda, Akte 658, Bl. 10, 20.

[21] Am 10.3.1917 bildete die Provisorische Regierung beim Justizministerium eine Kommission für Annullierung der politischen Fälle des ehemaligen Polizeidepartements. Burcev wurde zum Vorsitzenden dieser Kommission ernannt (siehe: Lur’e, F.M.: Chraniteli prošlogo [Bewahrer der Vergangenheit]. Leningrad 1990, S. 112 f.). Aber seine Differenzen mit Justizminister Kerenskij, seine Unduldsamkeit und seine sensationellen Äußerungen bewirkten, daß er diese Arbeit fast sofort aufgeben mußte. Formell wurde die Burcev-Kommission am 15.6.1917 aufgelöst. Statt ihrer entstand bei der Außerordentlichen Untersuchungskommission eine Sonderkommission, die die Tätigkeit des ehemaligen Polizeidepartements unter P. E. Ščegolev zu prüfen hatte.

[22] Dolin, Bencion (Moiseev-Moškov), geheimer Mitarbeiter der ausländischen Agentur des Polizeidepartements. Im März 1917 machte er Burcev aufrichtige Geständnisse, daß er im Dienst der Deutschen stand, im April nahm er sich das Leben; an seinem Todestag schrieb er Burcev einen Brief, worin er ihm „für die menschliche Haltung“ zu seinen Leiden dankte (GA RF, Bestand 5802, IL. 2, Akte 324; Akte 486, Bl. 3).

[23] Nosar’, G.S. (Chrustalev), 1878–1918, Gehilfe eines beeideten Rechtsanwalts, 1905 erster Vorsitzender des Petrograder Sowjets der Arbeiterdeputierten, schloß sich dann den Bolschewiki an, machte bei der Verhaftung Aussagen über den Sowjet, floh 1906 aus der Verbannung nach Paris, brach 1909 mit den Sozialdemokraten, spann politische Intrigen, zeichnete sich durch Prinzipienlosigkeit aus. 1917 unterstützte er den Hetman Skoropadskij. 1918 von der VČK erschossen.

[24] Rodštejn, L.Z. (Valer’jan), ein enger Freund und Sekretär Burcevs, seit 1910 Besitzer einer russischen Buchhandlung und des Lagers der Zeitung Obščee delo in Paris. Nach der Februarrevolution wurde er von der von E. I. Rapp geleiteten Pariser Gruppe zur Auffindung der Auslandsagentur unbegründeterweise beschuldigt, ein Provokateur zu sein. Er hielt diese Beschuldigung für Ränke der Bolschewiki und der Deutschen. In Paris leistete er Propagandaarbeit im Russischen Expeditionskorps, nahm zusammen mit Burcev an der Gründung der Redaktion der Zeitung Obščee delo und der Telegraphenagentur Union teil.

[25] Organ des österreichisch-ungarischen Generalstabs, 1916–1918 in Wien für die russischen Kriegsgefangenen auf dem Territorium Österreich-Ungarns herausgegeben.

[26] Fürst Kropotkin, P.A. (1842–1921), Theoretiker des Anarchismus, ab 1876 in der Emigration, kehrte am 30.5.1917 nach Rußland zurück, verweigerte seine Teilnahme an der Provisorischen Regierung, kritisierte nach dem Oktober 1917 scharf die Diktatur der bolschewistischen Partei, war gegen die ausländische militärische Intervention in Rußland, trat 1921 in der Emigration dem Monarchistischen Zentrum bei.

[27] Die Zeitung Obščee delo, Chefredakteur und Herausgeber Burcev, erschien 1909–1910 in Paris und 1917 in Petrograd. Nachdem die Provisorische Regierung die Zeitung wegen der Kritik an Kerenskijs unentschlossener Haltung verboten hatte, gab Burcev am Vorabend des bolschewistischen Oktoberumsturzes die erste und einzige Ausgabe der Zeitung Naše Obščee delo heraus, deren Auflage Trockij sofort beschlagnahmen ließ. Die Herausgabe wurde 1918–1922 und 1928–1954 in Paris wieder aufgenommen. Vor der Herausgabe von Miljukovs Zeitung Poslednie novosti war Burcevs Zeitung die größte in der russischen Emigration.

[28] Erschien 1906–1940 in Paris, Begründer: der französische Sozialist G. Hervé. Bis Januar 1916 hieß die Zeitung La guerre sociale. Burcev arbeitete mit Hervé und dessen Zeitung aktiv zusammen.

[29] Černov, V.M. (Gardenin), 1873–1952, Führer und Theoretiker der Partei der Sozialrevolutionäre; trat 1908, als Burcev einen der Anführer der Kampforganisation der Sozialrevolutionäre, Azef, als Provokateur und Agent der zaristischen Geheimpolizei entlarvte, aus dem ZK der Partei der Sozialrevolutionäre aus: Černov hatte mit Azef 8 Jahre lang gearbeitet und ihm völlig vertraut. Der Fall Azef habe nach Černovs Meinung das Ansehen der Partei der Sozialrevolutionäre unterminiert. 1917 Mitglied des Petrograder Sowjets des Gesamtrussischen Zentralen Exekutivkomitees, Landwirtschaftsminister der Provisorischen Regierung (Mai–August 1917). Am 20.6.1917 reichte er wegen einer Zeitungskampagne, bei der er des Defätismus und der Kontakte mit dem deutschen Generalstab beschuldigt wurde, seinen Rücktritt ein, aber dieser wurde nicht angenommen (die Černov kompromittierenden Dokumente waren angeblich bei Burcev: GA RF, Bestand 5802, IL. 2, Akte 828). Am 26.8.1917 trat Černov von seinem Posten in der Provisorischen Regierung zurück. Im Januar 1918 Vorsitzender der (von den Bolschewiki auseinandergejagten) Konstituierenden Versammlung. Ab September 1920 in der Emigration. 1928 bildete er das Auslandskomitee der Partei der Sozialrevolutionäre. Während des Zweiten Weltkrieges Teilnehmer der französischen Résistance.

[30] Gor’kij, M. (Peškov, A.M.), 1868–1936, russischer Schriftsteller, stand den Sozialdemokraten nahe, unterzog die Bolschewiki nach dem Oktober 1917 einer liberalen Kritik (siehe den Sammelband seiner Artikel aus der Zeitung Novaja žizn’ [Neues Leben] für April 1917–Juni 1918, die 1918 als Broschüre Nesvoevremennye mysli [Unzeitgemäße Gedanken] herauskamen). Burcev war der Ansicht, daß Gorki als Politiker mit Blindheit geschlagen sei und den Leninisten eine riesige moralische Unterstützung erweise. Am 7.7.1917 veröffentlichte Burcev in der Zeitung Russkaja volja [Russischer Wille] eine Liste von Personen, die „an der Zersetzung Rußlands gearbeitet haben“; auf der Liste stand neben Lenin, Trockij und anderen Bolschewiki auch Gor’kij, den Burcev „einen der namhaftesten unaufgedeckten Provokateure“ nannte. In diesem Zusammenhang schrieb der Schriftsteller V. G. Korolenko in einem offenen Brief an Burcev: „Sie eröffnen einer Epidemie von Verleumdungen als Werkzeug des politischen Kampfes einen unbegrenzten Spielraum“ (siehe: M. Gor’kij i Burcev [M. Gor’kij und Burcev], in: Flejšman [wie Anm. 5], S. 15–88). 1921–1933 lebte Gor’kij im Ausland, im Mai 1935 kehrte er endgültig in die UdSSR zurück.

[31] Jaurès, Jean (1859–1914), Führer der französischen Sozialisten, Historiker. Gründete am 18.4.1904 die Zeitung l’Humanité, wurde von einem französischen Chauvinisten am Vorabend des Ersten Weltkrieges ermordet.

[32] Kerenskij emigrierte im Juni 1918 unter falschem Namen aus Archangel’sk nach Paris, und zwar über England, wo sich Burcev damals aufhielt.

[33] Eine große französische Informationszeitung, erschien 1884–1944 in Paris.

[34] Möglicherweise Lebedev, V.I. (1885–1956), Sozialrevolutionär, Journalist, Freiwilliger der Fremdenlegion; kehrte im April 1917 nach Rußland zurück. War Geschäftsführer des Flottenministeriums in der Provisorischen Regierung, nahm an der Weißen Bewegung teil. In der Emigration lebte er in Paris.

[35] Rubanovič, I.A. (1859–1922), gehörte zuerst der Partei „Narodnaja volja“ [Volkswille] an; emigrierte in den 1880er Jahren nach Paris, ab Januar 1902 Sozialrevolutionär, einer der Exponenten der Partei, ihr Vertreter im Internationalen Sozialistischen Büro; unterrichtete an der Sorbonne.

[36] Hervé, G. (1871–1944), französischer Journalist, Sozialist, im Oktober 1916 aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen. 1919 bestand er auf einer französisch-deutschen Aussöhnung und der Revision des Versailler Vertrages, gründete 1927 die profaschistische nationalsozialistische Partei. Als Chefredakteur der Zeitung Victoire unterhielt er enge Kontakte mit Burcev.

[37] Gurko, V.I. (1865–1927), Monarchist, der deutsche Nachrichtendienst hielt ihn für die vom militärischen Standpunkt aus bedeutendste Persönlichkeit Rußlands. 1921 gehörte er zum militärpolitischen Kern der Armee von General Wrangel.

[38] Graf Ignat’ev, A.A. (1877–1955), General, militärischer Agent (Vertreter) Rußlands in Frankreich während des Ersten Weltkrieges. 1917 stand er dem Oktoberumsturz in Rußland feindlich gegenüber. Im Juli–September 1918 korrespondierte er mit Burcev, hatte mit ihm „Unterredungen zwecks Abstimmung einer gemeinsamen Botschaft an die Alliierten“, schickte ihm Presseübersichten, die das 2. Büro (Nachrichtendienst) zusammenstellte, bot Burcev den Beistand der französischen Journalisten an, damit dieser ein „neues nationales Organ“ gründe (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 1392, Bl. 227–231v).

[39] Thomas, A. (1878–1932), französischer Politiker, Sozialist. 1915–1917 Rüstungsminister Frankreichs. Initiierte im Sommer 1917 die Sammlung kompromittierender Dokumenten über Lenin und die Bolschewiki; stand 1919–1932 dem Internationalen Arbeitsbüro beim Völkerbund vor.

[40] Pichon, S. (1857–1933), von November 1917–Januar 1920 Außenminister Frankreichs.

[41] Die Russische Republikanische Liga (RRL) wurde im September 1917 von emigrierten russischen Sozialisten zwecks Vereinigung demokratisch orientierter Emigranten gegründet; setzte sich die Ziele, die Errungenschaften der Februarrevolution zu retten sowie gegen die defätistischen Ideen, die bolschewistische Propaganda und die Demoralisierung des Russischen Expeditionskorps (REK) in Frankreich zu kämpfen.

[42] Prokljatie vam, bol’ševiki! Otkrytoe pis’mo bol’ševikam wurde von Burcev in Stockholm, wohin er über Finnland geflohen war, geschrieben und herausgegeben, 1918 erschien der „Brief“ auch in Paris. 1919 veröffentlichte die Agentur Union die 6. Ausgabe.

[43] 1916 wurde das 40.000 Mann starke Russische Expeditionskorps auf Bitten der Alliierten an die französische und die Saloniki-Front verlegt. Nach den Revolutionen von 1917 wurde das REK aufgelöst, erst gegen Ende 1920 konnte ein Großteil der Soldaten heimkehren, viele Generäle und Offiziere  waren aktive Teilnehmer der Weißen Bewegung.

[44] Die Zeitung war das Zentralorgan des Abteilungskomitees der russischen Truppen in Frankreich, erschien in Paris vom 25.7.1917 bis zum 28.4.1920 und spiegelte die Interessen der Provisorischen Regierung Rußlands und der Alliierten wider. Chefredakteur war V. Drabovič. Die Zeitung stand unter Geheimaufsicht der französischen Zensur. Nach der Auflösung des REK und der Komitees wurde die Zeitung verboten, erschien aber ab März 1918 dank der finanziellen Unterstützung des amerikanischen Christlichen Vereins Junger Männer (YMCA) wieder.

[45] Der Verein ChOML – YMCA hatte zum Ziel, russischen Soldaten, Kriegsgefangenen und Flüchtlingen aus Rußland zu helfen, und beabsichtigte, in Frankreich „eine breite Aufklärungs- und Kulturtätigkeit unter den russischen Soldaten zu entfalten“. Im Oktober 1919 stellte der Verein die Finanzierung der Zeitung Russkij Soldat ein. Der Verein subventionierte die Tätigkeit der emigrierten russischen Wissenschaftler. 1920 gründete er den Bücherverlag YMCA-PRESS.

[46] 1918 bildeten mehrere russische linksorientierte Emigrantenorganisationen, darunter die RRL, den Nationalen und Demokratischen Block der russischen politischen Vereinigungen im Ausland. Allen zum Block gehörenden Organisationen war die Ansicht gemeinsam, daß Rußland mit Hilfe der Entente zu retten sei, doch wegen der ausländischen militärischen Intervention vom Februar 1919 traten einige RRL-Mitglieder aus dem Block aus und verurteilten die militärische Invasion der Entente in Rußland.

[47] Am 25.9.1918 wurde in der Staatlichen Beratung von Ufa unter Vorsitz Avksent’evs, der Vertreter diverser in Opposition zur bolschewistischen Macht stehender Organisationen, Parteien und provisorischer Regierungen auf dem Territorium Rußlands angehörten, die Errichtung der „Provisorischen Gesamtrussischen Regierung“ – des Ufa-Direktoriums (UD) – ausgerufen. Am 9.10.1918 zog das Direktorium nach Omsk um, wo der Regierung am 4.11.1918 Admiral Kolčak beitrat, der am 18.11. in Omsk einen Staatsstreich durchführte und das UD auseinanderjagte. Die Mitglieder der UD-Regierung Avksent’ev, Zenzinov und Argunov wurden verhaftet und ins Ausland ausgesiedelt. Viele Mitglieder des Ministerrates, die zu Kolčaks Umsturz beitrugen, bildeten seine „Omsker Regierung“.

[48] Šavišvili, E. (Chariton), ein georgischer Revolutionär, teilte Burcev mit, daß er in der Presse eine „Erklärung über die deutsche Verleumdungskampagne gegen die Kaukasier“ veröffentlicht hatte (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 644).

[49] Im Januar 1919 gründeten Burcev und seine Anhänger in Paris das russische Informationsbüro (Telegrafenagentur) Union, das vier Abteilungen hatte: eine Telegrafenabteilung mit Burcev an der Spitze, eine ausländische, eine russische und eine finanziell-wirt­schaftliche Abteilung. Die Zeitung Obščee delo trat der Union als autonomes Organ bei. Die Agentur hatte ihre Vertreter in Rußland und anderen Ländern, erhielt und verbreitete Nachrichten über die Lage in Rußland, wirkte an der Presse der Alliierten mit, erhielt finanzielle Unterstützung seitens der Regierungen Kolčak und Denikin. Ihre finanziellen Transaktionen wickelte die Agentur über den Vorstand der Russisch-Asiatischen Bank in Paris ab. Am 15.11.1920 fusionierte die Union mit der Agentur Russagen (mit Sitz in Konstantinopel), um durch Zusammenlegung die finanziellen Ausgaben zu senken. Die vereinigte Agentur hieß Russunion.

[50] Möglicherweise G.V. Plechanovs Tochter; seine Witwe R.M. Plechanova (geb. Bograd) befand sich im April 1919 in Genf und ersuchte um die Erlaubnis, nach Paris zu ihren Kindern zu reisen, wobei sie den französischen Behörden zu beweisen suchte, daß ihr Mann nicht mit den Bolschewiki sympathisiert habe.

[51] Bis 1920 Organ der französischen Sozialistischen Partei, ab 1920 Zentralorgan der französischen Kommunistischen Partei.

[52] Wahrscheinlich Rimskij-Korsakov, A.A. (1849–1922), ehemaliger Senator, 1919 Mitglied der monarchistischen Gruppe „Sojuz vernych“ [Bund der Getreuen] in Estland. Im Mai 1920 kam er mit dem Hauptkern des „Bundes der Getreuen“ nach Deutschland; Mitglied des Gesamtrussischen Monarchistenbundes.

[53] Demokratische Tageszeitung, erschien 1919–1920 in Reval.

[54] Andreev, L.N. (1871–1919), russischer Schriftsteller, während des Ersten Weltkrieges Redaktionsmitglied der Zeitung Russkaja volja (Petrograd 1916–1917), die heimlich vom Polizeidepartement finanziert wurde. Nach der Oktoberrevolution, der Andreev feindlich gegenüberstand, emigrierte er.

[55] Potechin, S., vielleicht Offizier des Russischen Expeditionskorps in Frankreich oder der russischen Militärdienste in Frankreich.

[56] La République russe war die Zeitung der RRL, erschien in Paris, hauptsächlich in französischer Sprache.

[57] Wahrscheinlich Aleksinskij, I.P. (geb. 1871/1874?), Professor, aktiver Wortführer der Weißen Emigration, Monarchist, 1921 stellvertretender Vorsitzender von Wrangels Russischem Rat, Anhänger des Großfürsten Nikolaj Nikolaevič.

[58] Im Briefwechsel mit Burcev standen 1919–1922 die Mitarbeiter der Zeitung Obščee delo A. Alekseev und Gleb Vasil’evič Alekseev (1892–1938), Journalist, Teilnehmer des Ersten Weltkrieges und der Weißen Bewegung. 1920–1921 lebte G.V. Alekseev im Ausland in verschiedenen Ländern, nach Januar 1922 in Berlin. Teilnehmer der Bewegung „Smena vech“. Anfang November 1923 kehrte G.V. Alekseev nach Sowjetrußland zurück, ab 1934 Mitglied des Verbandes der sowjetischen Schriftsteller, 1938 verhaftet und erschossen.

[59] Die Meuterei in Kronstadt, eine antibolschewistische Aktion der Garnison der Festung Kronstadt und der Besatzungen einiger Schiffe der Baltischen Flotte, verlief im März 1921 unter der Losung „Sowjets ohne Kommunisten“. Die Meuterei wurde von den sowjetischen Truppen grausam niedergeworfen.

[60] Bogaevskij, A.P. (1872–1935), General, ab Mai 1918 Vorsitzender der „Don-Regierung“, ab 5.2.1919 Ataman des Don-Heeres (löste auf diesem Posten General Krasnov ab). Im März 1920 traf er auf der Krim bei General Wrangel ein, ab November 1920 in der Emigration. In Konstantinopel sorgte er für die Verbindung einer Gruppe von Kosakengenerälen mit Wrangel.

[61] Charlamov, V.A. (1875–1957), Kosakengeneral, Konstitutioneller Demokrat, 1918–1921 Vorsitzender des Großen Truppenkreises; Vertreter des Vereinten Rates der Kosaken von Don, Kuban und Terek in Paris.

[62] Syčev, K.I., General, Vertreter der Kosakentruppen von Don, Kuban, Terek und Astrachan’ in Paris, Mitglied des Russischen Nationalkomitees.

[63] Mangin, C. (1866–1925), während der Intervention Chef der französischen Militärmission in Südrußland; Befehlshaber der französischen Okkupationstruppen im Rheingebiet Deutschlands, 1920 Mitglied des Obersten Militärrates Frankreichs.

[64] 1916 von den französischen Zentristen gegründet, ab 1921 Zentralorgan der Französischen Sozialistischen Partei.

[65] Organ der „Revolutionären Vereinigung“, erschien in Marseille.

[66] Petljura, S.V. (1877–1926), einer der Führer der ukrainischen nationalistischen Bewegung.

[67] Simons, W. (1861–1937), 1920–1921 Außenminister Deutschlands.

[68] Vinaver, M.M. (1862/1863–1926), Jurist, Staatskundler, Abgeordneter der 1. Staatsduma, einer der Begründer der Kadetten-Partei, Mitglied ihres ZK, nach dem Oktober 1917 aktiver Kämpfer gegen die Sowjetmacht, Außenminister in der regionalen Krim-Regierung. Reiste im Juni 1919 zusammen mit den Alliierten von der Krim über Konstantinopel aus, übergab vor der Evakuierung zusammen mit anderen Mitgliedern der Krim-Regierung den Franzosen die Werte der regionalen Bank und des Schatzamtes von Sevastopol; ab 1919 Emigrant in Paris, stellvertretender Vorsitzender des Pariser Kadetten-Komitees, Literat.

[69] Pasmanik, D.S. (1869–1930), Professor, jüdischer Politiker. Vor 1917 Konstitutioneller Demokrat, ab Juni 1919 Emigrant in Paris, Mitglied des Russischen Nationalkomitees, 1919–1922 engster Mitarbeiter Burcevs bei der Herausgabe des Obščee delo, Mitglied des Verbandes der russischen Literaten und Journalisten in Paris, 1924–1928 Pariser Korrespondent der Warschauer Zeitung Za svobodu [Für Freiheit], Autor von Erinnerungen an Savinkov.

[70] Čajkovskij, N.V. (1850/51–1926), Journalist, namhafter revolutionärer Politiker, Sozialrevolutionär, 1917 Mitglied des ZK der Vereinigten Sozialistischen Volkspartei der Arbeit, aktiver Teilnehmer der Weißen Bewegung, Leiter bzw. Mitglied mehrerer antibolschewistischer Regierungen, 1920 Vorsitzender der konspirativen Organisation „Centr dejstvij“ [Handlungszentrum], 1920–1926 Vorsitzender des Pariser Komitees der Hilfe für russische Schriftsteller und Journalisten. Aus dem Pariser Fonds der Archangel’sker Regierung gewährte er 1918 der Union einen Kredit von 56.000 Francs, wobei er 25.000 davon im Mai 1920 „für die Ausgaben und die Agitation gegen den Bolschewismus in Paris“ spendete. 1921 und 1925 mahnte Čajkovskij Burcev an eine Schuld von 11.000 Francs – Burcev hätte 55.000 vom Prager Historischen Archiv bekommen sollen (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 624).

[71] Wrangel, P.N. (1878–1928), Oberbefehlshaber der Weißen Armee im Süden Rußlands. Nach der Evakuierung der Krim versuchte er, den Kern seiner Armee für einen neuen Feldzug gegen die Bolschewiki zu erhalten. Gründete 1924 den Russischen Allgemeinen Militärbund (ROVS). Im umfangreichen Briefwechsel Burcevs mit Wrangel 1920–1928 treten die Gründe der Differenzen zwischen ihnen klar zutage. Burcev bat Wrangel beharrlich, „seine Mitarbeiter auszutauschen“, die Anhänger der Monarchie waren, da Rußland nur durch ein Bündnis aller Parteien unter demokratischer Fahne gerettet werden könne und es gelte, die öffentliche Meinung in allen Ländern mithilfe eines Druckorgans zu erobern. Während Wrangel noch 1921 Burcev aktiv finanzierte, berief er sich 1922 schon auf finanzielle Schwierigkeiten (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 178).

[72] Gruppe von Menschewiki und „Landesverteidigern“, entstand 1914, nahm ihre festen organisatorischen Konturen im März 1917 an, hatte ihre Organisationen in Petrograd, Moskau und Baku. Gab die Zeitung Edinstvo heraus.

[73] Brailovskij, A.P., Mitglied von Edinstvo, hielt bei der ersten gesamtrussischen Beratung der Gruppe ein Referat.

[74] Rezanov, A.S. (geb. 1878), Oberst, vor der Februarrevolution von 1917 Militärunterstaatsanwalt des Petrograder Militärbezirks, Mitarbeiter von Novoe vremja. Im März 1917 durch die Außerordentliche Untersuchungskommission verurteilt, saß er 4 Monate in der Peter-Pauls-Festung ein. Nach seiner Entlassung sandte er Burcev einen Dankbrief (GA RF, Bestand 5802, IL. 2, Akte 430, Bl. 7 f.). Während des Bürgerkrieges nahm er an der Weißen Bewegung teil, befaßte sich mit der Gegenaufklärung und der militärischen Propaganda. 1919 schrieb er an Burcev, er habe „ein riesiges und interessantes Material über die hinter den Kulissen geleistete Arbeit der Deutschen zusammengetragen“, könne es jedoch in Rußland nicht verwenden. Ab 1920 in Belgrad.

[75] Morkotun, S.K. (geb. 1890), vereidigter Rechtsanwalt, ukrainischer Föderalist, Vorsitzender des Ukrainischen Nationalkomitees, das sich für eine Föderation mit Rußland einsetzte, Mitarbeiter des Obščee delo.

[76] Savinkov, B.V. (1879–1925), einer der Führer der Partei der Sozialrevolutionäre, Azefs Stellvertreter in ihrer „Kampforganisation“, Terrorist, nach dem Februar 1917 Kriegskommissar der Provisorischen Regierung, Stellvertreter des Kriegsministers Kerenskij. Im Oktober 1917 aus der Partei der Sozialrevolutionäre ausgeschlossen. Einer der Führer der Weißen Bewegung. In der Emigration (1923–1924) Kontakte mit italienischen Faschisten, Treffen mit Mussolini. In der Hoffnung, an die Spitze der von der GPU zum Kampf gegen die Weiße Bewegung in der Emigration geschaffenen „antibolschewistischen Untergrundorganisation“ „Liberaldemokraten“ treten zu können, passierte er illegal die sowjetische Grenze und wurde am 16.8.1924 in Minsk von der GPU verhaftet. Unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen.

[77] Struve, P.B. (1870–1944), Philosoph, Historiker, Wirtschaftswissenschaftler. Anfang des 20. Jh. Führer des „legalen Marxismus“. Dann einer der Leiter der Konstitutionellen Demokraten, Mitglied des ZK der Kadetten, stand dem rechten Parteiflügel vor. Mitglied der Sonderberatung in der Regierung Denikin, Minister in der Regierung Wrangel. Ab 1920 in der Emigration, Chefredakteur der Prager Zeitschrift Russkaja mysl’ [Russisches Denken], der Pariser Zeitung Vozroždenie [Wiedergeburt], Professor der Universitäten Prag und Belgrad.

[78] 1920 reiste Burcev zweimal nach Berlin. In seinen Briefen an Wrangel und Denikin teilte er mit, daß diese Reisen ihm viel interessantes Material gegeben hätten, daß er in Berlin wichtige Resultate erzielt, u.a. Kontakte mit der Presse, Staatsmännern, politischen Gesellschaften, Vertretern der russischen Kolonie, Vertretern der deutschen Opposition und General Ludendorff nahestehenden Personen hergestellt habe. Ergebnis dieser Besuche werde „eine neue Kampagne in der europäischen Presse gegen die Bolschewiki“ sein (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 178, Bl. 2; Akte 250, Bl. 12). Laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes traf sich Burcev in Berlin mit den Mitarbeitern des deutschen Auswärtigen Amtes Maltzan und Bartels, dem ehemaligen deutschen Konsul in Petrograd und einem guten Bekannten von Vera Gladyš (Russisches Staatliches Militärarchiv RGVA, Bestand 198, IL. 17, Akte 213a, Bl. 68, 61).

[79] Maltzan, A.G.O. (1877–1927), deutscher Staatsmann, Vertreter der „Ostrichtung in der deutschen Politik“, Teilnehmer der Konferenz von Genua, nahm an der Vorbereitung des sowjetisch-deutschen Rapallovertrages vom 16.4.1922 teil.

[80] Politische, literarische und gesellschaftliche Zeitung, erschien 1920–1921 in Warschau unter Mitwirkung von B.V. Savinkov, D.S. Merežkovskij, Zinaida Gippius, D.V. Filosofov; hieß ab 4.11.1921 Za svobodu.

[81] Minor, O.S. (1861–1933), ehemaliger Narodovolec, namhafter Vertreter der Partei der Sozialrevolutionäre, Journalist. Ab Frühjahr 1919 in der Emigration in Paris und Prag, Mitarbeiter des Pariser Zemgor, Vertreter des Prager Historischen Archivs in Paris.

[82] Beneš, E. (1884–1948), Außenminister der Tschechoslowakei 1918–1935, Staatspräsident 1935–1938,Vorsitzender der Exilregierung 1940–1945, Präsident der Tschechoslowakei 1946–1948. In den 1920er Jahren erwies er den Sozialrevolutionären finanzielle Hilfe.

[83] Zenzinov, V.L. (1880–1953), einer der Führer der Sozialrevolutionäre, aktiver Teilnehmer der Weißen Bewegung, Mitglied der Regierung von Komuč (Komitet členov Učreditel’nogo sobranija [Komitee der Mitglieder der Konstituierenden Versammlung]), das am 18.6.1918 in Samara gebildet wurde, Mitglied des Ufa-Direktoriums, nach Kolčaks Umsturz ins Ausland ausgewiesen. Ab Januar 1919 in Paris, in der Emigration aktive Teilnahme am antisowjetischen Kampf.

[84] Franco-russische politische, literarische und kommerzielle Zeitung (politischer Redakteur: E.Maksimov), erschien in Konstantinopel; im November 1921 verfügte das alliierte Oberkommando, daß die Zeitung nur in russischer Sprache zu erscheinen und obligatorisch den Leitartikel einer der regierungsnahen französischen Zeitungen in russischer Übersetzung zu bringen habe.

[85] Vaillant-Couturier, P. (1892–1937), französischer Politiker, Journalist, Parlamentsabgeordneter, Mitglied des ZK der französischen KP.

[86] Lefèbvre, R. (1891–1920), Schriftsteller, Journalist, Mitglied der französischen Sozialistischen Partei (1916–1920), Mitglied des Komitees für den Beitritt zur Komintern (1919–1920). Lepetit, J.M. (1889–1920), Arbeiter, Anarchist, Syndikalist. Vergeat, M., Hüttenwerker, Syndikalist. Die drei reisten illegal nach Rußland zum 2. Kominternkongreß (19.7.–7.8.1920), auf dem Lefèvbre eine Ansprache hielt. Auf der Rückreise kamen sie Ende September 1920 unter unbekannten Umständen um. Ihr Tod fand in Frankreich große Resonanz.

[87] Aleksinskij, G.A. (1879–1968?), ehem. Abgeordneter der 2. Staatsduma von der bolschewistischen Fraktion, dann „Oboronec“, Mitglied des ZK der sozialdemokratischen Organisation „Edinstvo“, Autor der am 4.7.1917 in der Presse veröffentlichten Erklärung, Lenin habe vom deutschen Generalstab Geld erhalten. Ab 1918 in der Emigration. Leitete die Propaganda im Russischen Rat von General Wrangel. Am 11.10.1920 schloß er mit der Redaktion des Obščee delo ein Abkommen über Bedingungen der Zusammenarbeit; darunter, daß er sich in seinen Artikeln „volle Freiheit vorbehielt“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 71, Bl. 15). Aleksinskij wechselte wiederholt seine politische Orientierung: von der Mitwirkung an der monarchistischen Russkaja gazeta [Russische Zeitung] bis zu Kontakten mit den Bolschewiki, denen er sein Archiv verkaufen wollte.

[88] Okulič, I.K. (1921–1922), Vertreter der Vladivostoker (Amurgebiets-)Regierung in den USA. Im Juni 1921 in Abwesenheit ins Nationalkomitee gewählt. Nach Erhalt von Burcevs Telegrammen mit den beharrlichen Bitten, das Obščee delo zu retten, konnte er nur 1.500 Francs an ihn richten und suchte von der Vladivostoker Regierung eine allmonatliche Überweisung von 1.500 Dollar an Burcev zu erreichen; er kritisierte den ehemaligen Botschafter Rußlands in den USA Bachmet’ev wegen dessen Weigerung, besagter Regierung finanzielle Hilfe zu erweisen. Im Februar 1922 trat er als Vertreter in den USA freiwillig zurück. Nach dem Austritt aus der Regierung informierte er Burcev weiter über die Lage im Fernen Osten (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 49).

[89] Cachin, M. (1869–1958), Funktionär der französischen und der internationalen Arbeiterbewegung, einer der Gründer und Leiter der KPF. Am 27.12.1918 warf er in der Nationalversammlung Frankreichs die Frage der Intervention in Rußland auf.

[90] Die Hoffnungen auf einen baldigen Sturz der bolschewistischen Macht wurden 1921 durch die Ereignisse in Kronstadt und durch Bauernaufstände geweckt; deren größter war die „Antonovščina“ im Gouvernement Tambov.

[91] Siehe dazu: Popova, S.S.: Francija i problemy vozvraščenija vrangelevcev v Sovetskuju Rossiju [Frankreich und Probleme der Rückkehr von Wrangels Anhängern nach Sowjetrußland], in: Rossija i Francija v XVII–XX vv. [Rußland und Frankreich im 17.–20. Jahrhundert]. Moskau 1998.

[92] Fedorov, M.M., rechter Konstitutioneller Demokrat, Geschäftsführer im Handelsministerium in der Regierung von Graf S.Ju. Witte. Nach der Oktoberrevolution Emigrant, einer der Initiatoren der Bildung des Nationalkomitees, Vorsitzender des Nationalkomitees, Vorstandsmitglied der Russischen Reederei- und Handelsgesellschaft, Begründer des Fonds und Leiter der Assoziation der Hilfe für russische Studenten.

[93] Kartašev, A.V. (1875–1960), Politiker, Historiker der russischen Kirche, Mitglied des ZK der Kadetten-Partei, Minister für Angelegenheiten der Konfessionen in der Provisorischen Regierung. Ab Januar 1919 in der Emigration, ab 1921 Vorsitzender des Russischen Nationalkomitees (RNK).

[94] Das RNK mit A.V. Kartašev an der Spitze wurde auf dem Kongreß der Russischen nationalen Vereinigung gewählt, der im Sommer 1921 in Paris stattfand. Hauptaufgaben des Komitees waren: Sturz der Bolschewiki, Wiederherstellung des russischen Staatswesens, Selbstbestimmung Rußlands, Volksmacht, Verzicht auf die Pläne der Restauration der Monarchie. Deklariert wurde Freiheit in der Wahl der „Mittel des Kampfes für die Befreiung Rußlands“. Abteilungen des Komitees entstanden fast in allen Zentren der russischen Emigration. In den 1920er Jahren gehörte Burcev dem RNK-Präsidium an.

[95] Semenov, Ju.F. (1875–1947), Konstitutioneller Demokrat, Journalist, Teilnehmer der Weißen Bewegung in Georgien nach der Revolution; 1920 in Paris, Sekretär des Pariser Kadetten-Komitees; im Februar 1921 trat er aus dem Komitee aus, ab 1924 Generalsekretär des RNK, 1927–1940 Chefredakteur der Zeitung Vozroždenie.

[96] Klepikov, F.F. (geb. 1891), Sozialrevolutionär, Mitglied von Savinkovs „Bündnis zum Schutz der Heimat und Freiheit“, mit Savinkov eng befreundet.

[97] Maklakov, V.A. (1869–1957), Jurist, Mitglied der Kadetten-Partei. Reiste Mitte Oktober 1917 als Rußlands Botschafter nach Paris. Auch nach dem Oktoberumsturz von 1917 blieb er bis Oktober 1924 als nicht beglaubigter Botschafter auf diesem Posten. Ab Februar 1921 Leiter des Russischen Rates der Botschafter in Paris. 1921–1922 bat Burcev Maklakov dringend um finanzielle Unterstützung des Obščee delo. 1924 war Maklakov Vorsitzender des Emigrationskomitees beim Völkerbund zum Schutz der Rechte der russischen Emigration.

[98] Fridlender, A.P., Journalist, diente während des Bürgerkriegs in der Ussurischen Schützenabteilung. Im Februar 1921 wurde er in Charbin auf Befehl des chinesischen Generalkonsuls in Vladivostok verhaftet und zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt; die Anklage lautete auf den Mord an zwei Chinesen bei der Flucht aus dem Gefängnis in der Stadt Nikol’sk (heute Ussurijsk). In einem Brief an den Vorsitzenden der provisorischen Amurgebiet-Regierung erklärte Klepikov, die Verhaftung und Verurteilung Fridlenders sei Rache der Chinesen dafür, daß Fridlender 1920 Materialien über die Teilnahme chinesischer Vertreter und der chinesischen Kriegsflotte an den Kampfhandlungen auf seiten der Bolschewiki veröffentlicht habe. Klepikov verlangte die Entlassung Fridlenders und seine Übergabe an die russischen Behörden (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 1465. Die Kopie des Memorandums: GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 312, Bl. 9–13).

[99] Emigrierte russische Fabrikanten und Bankiers bildeten im Ausland ihre Organisationen: den Gesamtrussischen Industrie- und Handelsverband (Protosojuz), den Russischen finanziellen Handels- und Industrieverband (Torgprom), das Komitee der kommerziellen Privatbanken. Diese Organisationen initiierten den Handels- und Industriekongreß, der im Mai 1921 in Paris stattfand; sie arbeiteten an Plänen für die Wiederherstellung des Eigentums in Rußland.

[100] Gladyš, V.I., geb. Manasevič-Manujlova, Leiterin der Berliner Redaktionsabteilung des Obščee delo, erhielt Aufklärungsinformationen von Orlov (s.u.), dessen Agenten ihrerseits über sie zu Nachrichten aus französischen Quellen kamen. Auf Burcevs Bitte schickte sie ihm Informationen für seine Artikel „zu deutschen Fragen“, interviewte 1920 E. Bernstein und General Hoffmann, warb zusammen mit ihrem Mann für Savinkovs Truppen und trieb antibolschewistische Propaganda. Gladyš schickte Burcev die Übersetzung eines deutschen Zeitungsartikels vom 28.2.1921 über die Gründe, warum ihm das deutsche Visum verweigert worden war: Genannt wurden der Deutschland gegenüber feindliche Ton seiner Artikel sowie die Veröffentlichung eines Artikels „über die Verbindungen des deutschen Generalstabs mit der Leninschen Bande“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 1594).

[101] Manasevič-Manujlov, I.F. (1869–1918), Abenteurer, Mitarbeiter des Novoe vremja, 1905 Geheimagent des Polizeidepartements, Beamter für besondere Aufträge beim Grafen Witte für Zusammentragung von Aufklärungsnachrichten und Gegenaufklärung; 1917 wirkte er am Obščee delo mit; nach dem Oktoberumsturz von 1917 versuchte er, aus Rußland zu fliehen, wurde jedoch an der Grenze zu Finnland verhaftet und erschossen.

[102] Orlov, V.G. (1882–1940), Jurist, Berufsaufklärer, zur Zeit der Provisorischen Regierung Untersuchungsrichter in Spionage- und Hochverratssachen, trat nach Oktober 1917 im Auftrag von General Alekseev in den sowjetischen Dienst ein (Burcev bat er um Hilfe bei der Ausstellung einer Bescheinigung, daß er auf Initiative der Alliierten und der Freiwilligenarmee von Januar bis Oktober 1918 in Petrograd unter dem Namen Orlinskij gearbeitet habe: GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 454, Bl. 28), nach seiner Entlarvung Ende 1918 floh er aus Petrograd. Ab 1919 in der Freiwilligenarmee: Chef der Gegenaufklärung in Odessa, Leiter der Sonderabteilung im Stab von General Wrangel, Organisator der Spionage in Polen und den baltischen Ländern (laut Burcev habe er „in der weißen Abwehr gegen die III. Internationale“ gearbeitet). 1921–1926 in Deutschland, versorgte den britischen Spion S. Raily und die Kampforganisation von General Kutepov mit Informationen, beteiligte sich an der Fabrikation von „Zinov’evs Brief“ und anderen Fälschungen, schickte Burcev Nachrichten über die bolschewistisch-deutschen Beziehungen. War zugleich Informant der deutschen politischen Polizei, wurde 1929 von der Auslandsabteilung (INO) der OGPU in den Augen der Deutschen kompromittiert und darauf aus Deutschland ausgewiesen (siehe darüber: „Korol’ kremlevskich špionov“ – Očerki istorii rossijskoj vnešnej razvedki [König der Kreml-Spione. Abriß der Geschichte der Auslandsaufklärung Rußlands], Bd. 2. Moskau 1996, S. 158–165). Lebte nach 1930 in Belgien; 1940 während der deutschen Okkupation von der Gestapo verhaftet und erschossen.

[103] Gamilton, M.V., Graf, Leutnant, gehörte zur Organisation „OK“ (ein im Mai 1919 in London in Kolčaks Auftrag gebildeten und bis Anfang 1922 aktiven Dienst der Kriegsflottenaufklärung in London und Paris, der in engem Kontakt mit dem englischen und dem französischen Nachrichtendienst arbeitete), diente in der Verwaltung von General Miller, bei dem er früher an der Archangel’sker Front in der Gegenaufklärung gedient hatte und dessen Adjutant er später gewesen war.

[104] Miller, E.K. (1867–1939), General, einer der Führer der Weißen Bewegung in Nordrußland, emigrierte 1920 nach Finnland, dann nach Frankreich, stand ab 1930 dem ROVS vor; wurde am 22.9.1937 von NKVD-Agenten in Paris entführt, nach Moskau befördert, verurteilt und erschossen.

[105] Rappoport, Ch. (1865–1940), ehemaliger russischer Narodovolec, emigrierte 1887 nach Frankreich. Sozialrevolutionär; bald nach 1900 trat er zu den Sozialdemokraten, dann zu den Kommunisten über. Mitglied der KPF. Brach 1939 wegen des sowjetisch-deutschen Nichtangriffspaktes mit den französischen Kommunisten; schrieb einen Brief darüber an die englische Presse und an die Zeitung Poslednie novosti, weil er glaubte, daß Stalin diese russischsprachige Emigrantenzeitung las.

[106] Organ der französischen sozialistischen Partei, dann der faschistischen Französischen Volkspartei.

[107] Die Zeitung Novoe vremja wurde 1921–1930 von M.A. Suvorin in Belgrad herausgegeben. 1876–1917 war sie in Petersburg erschienen: 1876–1912 war ihr Herausgeber A.S. Suvorin, ab 1905 war sie ein Organ der Ultrarechten aus den Schwarzen Hundertschaften. Am 26.10.1917 wurde die Zeitung von den Bolschewiki geschlossen.

[108] Ryss, P.Ja. (1870–1948), Konstitutioneller Demokrat, Journalist und Soziologe. Emigrierte 1919 nach Berlin, 1920 nach Paris, schrieb für das Obščee delo, war Mitglied der Pariser demokratischen Gruppe von Miljukov, Redaktionssekretär in der Zeitung Poslednie novosti, Koredakteur der Zeitschrift Bor’ba za Rossiju [Kampf für Rußland].

[109] Gronskij, P.P. (1883–1937), Mitglied des ZK der Kadetten-Partei.

[110] Filippov, A.I. (geb. 1884), Journalist, half Burcev tätig bei der Suche nach Finanzierungsquellen für das Obščee delo, reiste zu diesem Zweck zu Wrangel. Lebte in Paris. 1923–1925 Mitglied des Redaktionskollegiums der äußerst rechts stehenden Russkaja gazeta, 1929–1934 Chefredakteur der Zeitschrift Teatr i žizn’ [Theater und Leben].

[111] Gabrilovič, L.Je. (Galič), 1878–1953, Publizist, Literatur- und Theaterkritiker, Mitarbeiter der Russagen, ab 1921 in Paris, Mitglied der Russischen philosophischen Gesellschaft. 1921 erachtete Burcev die Zusammenarbeit als beendet, weil diese an die Bedingung geknüpft war, nur für Obščee delo und Russagen zu schreiben.

[112] Nansen, F. (1861–1930), norwegischer Polarforscher, ab April 1920 Hochkommissar des Völkerbundes für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Flüchtlinge, ab August 1921 Leiter des Hilfswerks des Roten Kreuzes für die Hungernden in den Wolgagebieten, Nobelpreisträger. Ab 1922 wurden auf seine Initiative Flüchtlingen „Nansen-Pässe“ ausgestellt.

[113] Erschien 1888–1939 in Paris.

[114] Kautsky, K. (1854–1938), einer der Führer der deutschen Sozialdemokratie und der II. Internationale.

[115] Bernstein, E. (1850–1932), Führer der deutschen Sozialdemokratie, einer der Initiatoren der Revision des Marxismus, bezichtigte die Bolschewiki, Geld vom deutschen Generalstab bekommen zu haben.

[116] Karačevcev, S.V., Autor einer Sammlung von Witzen und des Buches Žizn i sud [Leben und Gericht], das dem Anwalt N.P. Karabčevskij gewidmet war (Riga 1929). 1921 schickte Karačevcev Burcev seine mit „S. K-v“ unterschriebenen Artikel zwecks Veröffentlichung (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 1793).

[117] Noulens, J. (1864–1939), französischer Staatsmann und Politiker, Diplomat; 1913–1915 Kriegsminister, Finanzminister, 1917–1918 Botschafter Frankreichs in Rußland, 1921 Vorsitzender der Interalliierten Kommission des Hilfswerks für die Hungernden in Rußland, Vorsitzender der industriellen, kommerziellen und finanziellen Gesellschaft für Rußland und dessen Nachbarstaaten.

[118] Petit, E. (Evgenij Jul’evič), 1871–1938, Anwalt, ein Kenner Rußlands, Mitglied der französischen Regierung. Vom September 1916 bis März 1918 Mitglied der französischen Militärmission in Rußland; mit einer Russin, S.G. Balachovskaja (Anwältin und Literatin), verheiratet.

[119] Putilov, A.I. (1866–1937), russischer Großindustrieller, nach Oktober 1917 Emigrant in Frankreich, wo er die Pariser Abteilung der Russisch-Asiatischen Bank leitete; finanzierte aktiv die Weiße Bewegung, war Mitglied des Handels- und Industrieverbandes in Frankreich. Im Februar 1922 hatte er eine Unterredung mit Burcev, in der er auf die Bitte, dem Obščee delo zu helfen, das „tagtägliche Geschimpfe“ gegen die Bolschewiki mißbilligte und die Befürchtung äußerte, daß dem russischen Volk ein Massenuntergang drohe, falls die ausländischen Staaten den Handel mit Sowjetrußland ablehnten. Burcevs Antwort war ein Artikel im Obščee delo: „Lenin und Dzierżyński, Krasin und – Putilov“. In einem Leserbrief an die Redaktion der Poslednie novosti leugnete Putilov seine guten Beziehungen zu L.B. Krasin nicht und schrieb von seinem Wunsch, eine Notenbank für Rußland zu gründen (das Projekt wurde nicht realisiert). Bald normalisierten sich die Beziehungen zwischen Putilov und Burcev; Putilov schätzte „Burcevs ehrlichen und makellosen Ruf“ hoch (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 494).

[120] Gesellschaftlich-politische Wochenzeitschrift, hrsg. von Ju.V. Ključnikov, das Organ der „Smena-vech“-Bewegung, erschien 1921–1922 in Paris. Unter dem gleichen Titel erschien im Juli 1921 in Prag ein Sammelband von Artikeln liberaler Emigranten, darunter von Ključnikov, worin die Hauptidee der Anhänger von „Smena vech“ ihren Niederschlag fand: das Sich-Abfinden mit dem sowjetischen System und die Rückkehr in die Heimat um deren Wiedergeburt willen.

[121] Ključnikov; Ju.V. (1888–1938), Professor; Jurist, Politiker, Konstitutioneller Demokrat, ab 1919 in Paris, ein Führer der Bewegung „Smena-vech“, im August 1921 Austritt aus der Kadetten-Partei, im April und Mai 1922 ein Experte der sowjetischen Delegation zur Genua-Konferenz, im August 1922 Besuch in Sowjetrußland. Koredakteur der Berliner Zeitung Nakanune. Im August 1923 kehrte er endgültig nach Rußland zurück und kam im Gefängnis um.

[122] Kutepov, A.P. (1882–1930), General, ab September 1920 Befehlshaber der 1. Weißen Armee während des Bürgerkrieges, ab November 1920 in der Emigration in Gallipoli, ab Ende 1921 in Bulgarien, im Mai 1922 zusammen mit anderen hohen Militärs der russischen Armee aus Bulgarien ausgewiesen; lebte in Belgrad, ab 1924 in Paris, ab April 1928 ROVS-Vorsitzender. Ende Januar 1930 wurde er in Paris von Agenten der INO der OGPU entführt, über Marseille illegal aus Frankreich ausgeführt, starb unterwegs in der Nähe von Novorossijsk.

[123] Markov, N.E. (1866–1945), Großgrundbesitzer, Monarchist, einer der Exponenten der Rechten in Rußland und der Emigranten in Deutschland, 1921–1931 Vorsitzender des Gesamtrussischen Monarchistenbündnisses (VMS). In Deutschland unterhielt er aktive Verbindungen zur Nazi-Partei, war an Hitlers „Bierputsch“ von 1923 beteiligt; Leiter und Hauptmitarbeiter des antisemitischen Organs Mirovaja služba, das in Erfurt in vier Sprachen herausgegeben wurde (Pseudonym N. Djatlov).

[124] Der Monarchistenkongreß fand am 16.–22.11.1922 in Paris statt. Bekannt war die ausgesprochen negative Einstellung Burcevs zur Idee der Wiederherstellung der Monarchie in Rußland. Über den Monarchistenkongreß schrieb er 1926: „Es wird zu einem wahrlich gesamtnationalen russischen Unglück kommen, wenn an diesem ihren Kongreß das NK und offizielle Vertreter der einstigen weißen Bewegung teilnehmen“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 501, Bl. 84).

[125] Efimovskij, E.A., Vorsitzender des ZK der Partei der Konstitutionellen Monarchisten, VMS-Mitglied, Chefredakteur der Russkaja gazeta in Paris. Zusammen mit A.I. Filippov schrieb er Großfürst Nikolaj Nikolaevič einen Brief mit dem Ausdruck der „vollen Bereitschaft, dem Großfürsten ganz zur Verfügung zu stehen“. Wegen des Übertritts Filippovs zum Monarchistenlager nannte Burcev ihn „unser gemeinsames Unglück“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 2148, Bl. 74v).

[126] Šul’gin, V.V. (1878–1976), Politiker, Monarchist, einer der Organisatoren der Freiwilligenarmee. Emigrierte 1920 nach Konstantinopel, ab 1921 in Jugoslawien. Im Dezember 1944 von den sowjetischen Truppen verhaftet, im Januar 1945 in die UdSSR deportiert. Im September 1956 aus dem Gefängnis entlassen; starb in Vladimir. Burcevs interessanter Briefwechsel mit Šul’gin aus den Jahren 1921–1925 hat sich erhalten; Burcev schreibt über seine politischen Neigungen und gibt seine Enttäuschung über die weißen Generäle zu (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 658).

[127] Wahrscheinlich Afanas’ev, A.G. (geb. 1859), ehemaliges Mitglied der Kadetten-Fraktion in der Zweiten und der Vierten Staatsduma.

[128] Miljukov, P.N. (1859–1943), Professor für Geschichte, Führer der Kadetten-Partei, 1917 Außenminister der Provisorischen Regierung, trat im Mai 1917 zurück. Nach dem Oktober 1917 fuhr er von Moskau nach Novočerkassk, wo sich die Freiwilligenarmee zu formieren begann. Vom Don kam er nach Kiev, nahm Kontakte mit dem Oberkommando der deutschen Truppen auf, da er hoffte, die Sowjetmacht mit Hilfe der Deutschen niederzuwerfen. Ende Oktober 1918 sah er seinen Irrtum ein. Begrüßte die militärische Intervention der Entente. Ab Ende 1918 in der Emigration, ab 1920 in Paris. Chefredakteur der Poslednie novosti. Ab 1922 Vorsitzender des Pariser Verbandes der russischen Schriftsteller und Journalisten. 1924 trat er an die Spitze der Republikanisch-Demokratischen Vereinigung (RDO). Autor zahlreicher Bücher und Artikel.

[129] 1923 erschien im Berliner Verlag „Gamajun“, Band I der Erinnerungen Burcevs Bor’ba za svobodnuju Rossiju. Moi vospominanija (1882–1922) [Kampf für ein freies Rußland. Meine Erinnerungen (1882–1922)]. Der erste Band schloß mit dem Jahr 1910. Den zweiten Band seiner Erinnerungen konnte Burcev nicht herausgeben, veröffentlichte jedoch in russischen Ausgaben viele Artikel daraus.

[130] Herriot, E. (1872–1957), französischer Staatsmann, Schriftsteller, radikaler Sozialist, 1924–1926 (mit Unterbrechungen) Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, Außenminister, Ministerpräsident. Seine Regierung erkannte im Oktober 1924 die UdSSR an.

[131] Monzie, A. de (1876–1947), französischer Senator, setzte sich aktiv für die Anerkennung Sowjetrußlands ein; nach 1925 diverse Ministerposten.

[132] Am 28.1.1924 schrieb Burcev an Orlov, wobei er seinen Brief „in Anwesenheit des Überbringers zu verbrennen“ bat: „Zur Zeit sichte ich Materialien und studiere den Fall von Morkotun und jenen Russen und Franzosen (Herriot, Monzie), die mit ihm verbunden waren. Es ist mir höchst wichtig, zusätzliche Angaben über ihre Rußland-Reise zu bekommen. Ich habe viele Fälle wie den von Morkotun [...] Wir werden den Kampf gegen die Bolschewiki bis zur Weißglut erhitzen“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 454, Bl. 4). Später erhielt Burcev Nachrichten, „daß Morkotun mit Viktor Vasil’evič Bogomolec und, wie es scheint, mit Bogovut-Kolomijcev“ (s.u.) „verbunden ist. Wir müssen uns mit Morkotun beschäftigen“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 422).

[133] Großfürst Nikolaj Nikolaevič Romanov (1856–1929), Onkel zweiten Grades von Zar Nikolaus II., Generaladjutant, wurde von den emigrierten russischen Monarchisten zum „obersten Führer“ ausgerufen. Im Dezember 1924 übernahm er von Wrangel die Leitung des ROVS, dem alle russischen militärischen Emigrantenorganisationen beitraten.

[134] Burcev gehörte zu den wenigen Pariser Freunden und Bekannten, die Savinkov in seine Absicht einweihte, in die UdSSR zu reisen. Das Gespräch wurde von beiden ausgiebig kommentiert (siehe darüber: Byloe, Bd. II, neue Reihe. Sborniki po novejšej russkoj istorii pod red. V.L. Burceva [Sammelbände zur neuesten russischen Geschichte, hrsg. von V.L. Burcev]. Paris 1933, S. 40–68). Burcev war der Meinung, daß Savinkov Dzierżyński und Menžinskij geglaubt und die Weiße Sache „verraten“ habe: „Er ist zu einem Verteidiger Dzierżyńskis gegen Zinov’ev geworden. Erst im Gefängnis verstand er, daß er völlig betrogen wurde, und stürzte sich aus dem vierten Stock“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 139. Siehe auch den Essay „Trudnyj put’ k ‚ispovedi‘ Savinkova“ [Savinkovs schwerer Weg zur „Beichte“] im Sammelband Očerki istorii rossijskoj vnešnej razvedki [Abriß der Geschichte der Auslandsaufklärung Rußlands], Bd. 2, Moskau 1996, S. 90–97).

[135] 1924 schrieb A.V. Kartašev zusammen mit M.M. Fedorov einen Brief an Briand mit dem Ausdruck des Befremdens darüber, daß Frankreich die UdSSR anerkennen wolle. Burcev riet seinen Mitstreitern, zu diesem Zweck die Wahlen in Frankreich auszunutzen: „Überall, wo Herriot oder Cachin auftreten, muß man sie attackieren und die Bolschewiki entlarven“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 209).

[136] Šul’gin besuchte im Winter 1925/26 mit einem falschen Paß Leningrad, Moskau und seine Heimatstadt Kiev, ohne zu ahnen, daß diese Reise im Rahmen der von den Čekisten konzipierten Operation „Trust“ geschah. Wieder in Paris, schrieb er das Buch Die drei Hauptstädte (erschienen 1926), worin er das Leben in der UdSSR in der NÖP-Zeit schilderte (siehe: Žukov, D.: „Ključi k ‚Trem stolicam‘“, in: Šul’gin, V.V.: Tri stolicy. Moskau 1991, S. 496–598.)

[137] Mel’gunov, S.P. (1879–1956), Historiker, Mitglied des ZK der sozialistischen Volkspartei der Arbeit (Trudoviki), wirkte nach Oktober 1917 mit illegalen monarchistischen Offiziersorganisationen zusammen, wurde im Oktober 1922 aus Sowjetrußland ausgewiesen, ab Mitte der 20er Jahre in Paris. Unversöhnlicher Gegner der Sowjetmacht. 1949–1954 Chefredakteur der Zeitschrift Vozroždenie. Mel’gunov sagte, zwar habe Burcev sehr scharf gegen ihn polemisiert, doch habe er die freundschaftlichen Beziehungen bis zu dessen Lebensende aufrechterhalten.

[138] Coty, F. (1874–1934), Begründer der gleichnamigen Parfümeriefirma, versuchte, im politischen Leben Frankreichs eine wichtige Rolle zu spielen, ab 1924 Inhaber des Figaro und anderer Blätter, im Februar 1934 half er der faschistischen Organisation „Croix de feu“, interessierte sich für die Tätigkeit anderer französischer profaschistischer Organisationen. Laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes finanzierte er die Tätigkeit der russischen faschistischen Organisation in Paris „Novyj stil’“ [Neuer Stil]. Langjähriger Bürgermeister der Stadt Ajaccio. Burcev schlug brieflich eine Zusammenkunft vor, wovon eine Antwort von Cotys Sekretär mit Briefkopf des Figaro zeugt (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 2222, Bl. 15).

[139] Die Operation wurde von der VČK-OGPU 1922–1927 gegen das ROVS durchgeführt (siehe: „Operacija ‚Trest‘“, in: Očerki istorii rossijskoj vnešnej razvedki [Operation „Trust“, in: Abriß der Geschichte der Auslandsaufklärung Rußlands], Bd. 2. Moskau 1996, S. 111–129, sowie Žukov (wie Anm. 136). In einem Artikel zu Burcevs 10. Todestag erwähnt Mel’gunov scharfe Auseinandersetzungen mit ihm „wegen Burcevs verfrühter Enthüllungen über den berüchtigten ‚Trust‘“ (Vozroždenie, Heft 24, 1952, S. 146–160; siehe auch Rul’, Berlin, 22.1.1928).

[140] Angaben aus einer Meldung der deutschen Polizei (RGVA, Bestand 772, IL. 1, Akte 14, Bl. 363 f.). Laut Angaben der französischen Polizei war von Pfeil, Mitarbeiter des russischen Paßbüros in Belgrad, ein GPU-Agent, Verbindungsmann zwischen dem sowjetischen und dem deutschen Nachrichtendienst. 1928 in Tiflis erschossen (RGVA, Bestand 7, IL. 1, Akte 390, Bl. 43; IL. 4, Akte 168, Bl. 18 ff., 46, 81).

[141] Es handelt sich wahrscheinlich um die Organisation „Bratstvo Russkoj Pravdy“ [Brüderschaft der Russischen Wahrheit, BRP] – siehe unten.

[142] Wochenzeitung, erschien 1926–1931 in Paris (Redakteure: Burcev u.a), zeichnete sich durch unversöhnliche antisowjetische Ausrichtung aus, setzte sich für einen gewaltsamen Sturz der Bolschewiki und für ein taktisches Bündnis von gemäßigten Monarchisten, Liberalen und rechten Sozialisten ein. 1928 trat Burcev aus der Redaktion aus.

[143] Die Zeitung Vozroždenie wurde 1925–1940 in Paris herausgegeben. Gegründet mit Unterstützung des Erdölmagnaten A.O. Gukasov. Chefredakteur Struve (vgl. Anm. 77), dann Semenov (vgl. Anm. 95). War als gemäßigt-konservativ, monarchistisch konzipiert. Nach Struves Rücktritt driftete die Zeitung nach rechts, nach 1933 unterstützte sie Hitlers Regime in Deutschland. Ab Januar 1949 erschien Vozroždenie als Zeitschrift wieder.

[144] Nikolaevskij, B.I. (1887–1966), Historiker der revolutionären Bewegung, Publizist, Archivwissenschaftler, Mitglied des ZK der SDAPR (Menschewiki), 1919–1921 Leiter des historisch-revolutionären Archivs in Moskau. Im Januar 1922 aus Sowjetrußland ausgewiesen. In der Emigration sammelte er ebenfalls Archivmaterialien. Lebte in Berlin, wo er das RZIA vertrat, 1924–1931 Vertreter des Marx-Engels-Instituts im Ausland. Lebte ab 1933 in Paris, Direktor der Pariser Abteilung des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte (Amsterdam). Im Februar–April 1936 verhandelte er mit Bucharin über den Verkauf des Archivs von Marx. Burcev schätzte Nikolaevskij als „großen Kenner der Geschichte der russischen gesellschaftlichen und revolutionären Bewegung“, als einen „Schriftsteller, der fähig ist, Fakten unparteiisch und präzise festzustellen“. Er schrieb Nikolaevskij: „Ich bin zwar mit Ihrer Beurteilung der politischen Ereignisse und Ihren politischen Ansichten absolut nicht einverstanden. Das hat jedoch mit der genauen Erforschung der Geschichte nichts zu tun, wonach wir beide, wie mir scheint, gleichermaßen streben“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 215).

[145] Wahrscheinlich V.Ja. Gurevič, Sozialrevolutionär, leitete das Komitee des Prager Zemgor, erster Verwalter des RZIA bis 1928.

[146] Sarraut, A. (1872–1962), französischer Journalist, Politiker, Senator, bis 1940 Mitglied fast aller Regierungen Frankreichs.

[147] Briand, A. (1862–1932), französischer Außenminister 1917, 1921–1922, 1925–1932.

[148] Im Briefwechsel mit Burcev stand A.N. Petrov, der im Januar 1930 schrieb, er wolle mit ihm und Herrn D. zusammenarbeiten sowie „in der Pariser Geheimpolizei dienen“, auch bat er um die Redaktion und Herausgabe seines Manuskriptes der Erinnerungen an die Ereignisse von 1918–1926 (GA RF, Bestand 5802, IL. 2, Akte 758).

[149] Großfürst Kirill Vladimirovič Romanov (1876–1938), Cousin von Zar Nikolaus II., ab Juni 1917 in der Emigration in Finnland, dann in der Schweiz und in Frankreich. Erhob, ebenso wie Großfürst Nikolaj Nikolaevič Romanov, Anspruch auf den Titel des Oberhauptes der russischen Zarendynastie. Am 31.8.1924 rief er sich zum „Kaiser von ganz Rußland“ aus. Seine Anhänger bildeten den Bund der Legitimisten. Kirill Vladimirovič forderte von General Wrangel, daß das ROVS ihm unterstellt werde.

[150] Dumbadze, Je.V. (geb. 1900), Freiwilliger der Roten Armee, Čekist, einer der ersten sowjetischen Nichtheimkehrer, lebte ab Juni 1928 in Paris, wo er sich mehrmals mit Burcev traf, worauf in der Zeitschrift Illjustrirovannaja Rossija [Rußland illustriert] seine Artikel veröffentlicht wurden. 1930 erschien in Paris sein Buch Na službe ČK i Kominterna: ličnye vospominanija. So vstupite’lnoj stat’ej V.L. Burceva i s predisloviem Solomona G.A [Im Dienst der Čeka und der Komintern: Persönliche Erinnerungen. Mit V.L. Burcevs Einleitung und G.A. Solomons Vorwort]. Burcev zufolge habe „Dumbadze etwa ein Jahr in Paris, dann in anderen Ländern gearbeitet, an verantwortlichen politischen Aktionen der Nichtheimkehrer teilgenommen, gewaltige Dienste im Kampf gegen die Bolschewiki geleistet“. Zuerst verteidigte Burcev Dumbadze gegen die Ausfälle der russischen Emigranten, die an seine Aufrichtigkeit nicht glaubten, aber 1939 äußerte er sich im Zusammenhang mit dem rätselhaften Tod des Nichtheimkehrers Agabekov über Dumbadze wie folgt: „Warum verhalten Sie sich in solch einer öffentlichen Sache wie dem Fall Agabekov konspirativ? ... Ich will es geradeheraus sagen: Hier glaubt man Ihnen nicht“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 240; Akte 724, Bl. 434).

[151] Gavrilov, V.I., wahrscheinlich Mitarbeiter der Aufklärung der Weißemigranten: In einem Brief an Burcev von 1930 erklärt er, mit Diterichs, der Verbindungen mit Čajkin habe, nicht zusammenarbeiten zu wollen, und nannte ihn einen Azef en miniature, weil der seine Mitarbeiter über die französische Polizei den sowjetischen Organen ausgeliefert habe. Im März 1934 schrieb Burcev an den französischen Vertreter in Äthiopien einen Brief zum Schutz der aus Äthiopien ausgewiesenen „Opfer von Provokateuren“ Gavrilov, Trachtenberg, Voronovskij und Korvettenkapitän Diterichs (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 183; Akte 724, Bl. 13, 15).

[152] Laurent, P., leitete 1917–1918 in Rußland die Filiale des Aufklärungsdienstes des 2. Büros im Generalstab Frankreichs. Burcev half ihm bei der Suche nach kompromittierenden Angaben über Verbindungen der Bolschewiki zum deutschen Generalstab.

[153] Eine überparteiliche, gesellschaftlich-politische und ökonomische Tageszeitung, die 1922–1938 in Bukarest erschien.

[154] Tardieu, A. (1876–1945), französischer Politiker, 1930 Ministerpräsident.

[155] Tageszeitung, erschien 1920–1940 in Paris. Chefredakteur 1920–1921 M.L. Gol’dštejn, ab März 1921 P.N. Miljukov. Die Zeitung wurde das Organ der RDO. Eines der Hauptpostulate der Zeitung: Rußlands Rettung hänge nicht von der Emigration, sondern von Rußland selbst ab. Die Redaktion setzte sich aktiv mit den politischen Gegnern von links wie auch von rechts auseinander; die meistgelesene russische Zeitung in Frankreich und anderen Ländern, in denen russische Emigranten lebten.

[156] De Roberti, N.A., Oberst der russischen Armee, 1918 Stabschef von General Kutepov in Novorossijsk, Mitglied der illegalen „Vnutrennjaja nacional’naja russkaja organizacija“ (VRNO, Innere nationale russische Organisation), die aus ehemaligen Offizieren unter Teilnahme von OGPU-Agenten (ähnlich wie in der Operation „Trust“) zur Unterbindung der ROVS-Tätigkeit gebildet wurde. De Roberti beteiligte sich an der Operation zur Entführung Kutepovs, bei einem Treffen mit diesem im Januar 1930 klärte er ihn insgeheim über die Entführungspläne auf; im Mai 1930 von der OGPU erschossen (siehe „Konec ROVS“ [Das Ende des ROVS] im Sammelband Očerki istorii rossijskoj vnešnej razvedki [Abriß der Geschichte der Auslandsaufklärung Rußlands], Bd. 5, Moskau 1997, S. 110–119). Burcev verteidigte de Roberti und Oberst A.N. Popov (ebenfalls OGPU-Mitarbeiter und VRNO-Mitglied) eifrig in der Presse und in seinen Briefen, denn er glaubte, beide seien (ebenso wie General P.P. D’jakonov) von der Zeitung Vozroždenie verleumdet worden, die behauptete, sie hätten für die OGPU gearbeitet. Nach Burcevs Meinung war das der Grund ihres Todes nach ihrer Rückkehr nach Rußland (siehe: V zaščitu pravdy. Perestanut li oni klevetat’? Delo generala P.P. D’jakonova. Delo polkovnika A.N. Popova i polkovnika N.A. de Roberti. Zagovor molčanija [Zum Schutz der Wahrheit. Werden sie mit ihren Verleumdungen aufhören? Der Fall von General P.P. D’jakonov. Der Fall von Oberst A.N. Popov und von Oberst N.A. de Roberti. Schweigekomplott]. Verlag „Obščee delo“, Paris 1951; GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 244, Bl. 3 f.).

[157] Agabekov-Arutjunov, G.S. (1896–1937), bedeutender sowjetischer Čeka-Aufklärer, besetzte mehrere wichtige Posten in der VČK-OGPU, brach 1930 offen mit dem Stalinschen Regime und stellte Kontakte mit dem britischen Geheimdienst her. Lebte in mehreren Ländern. Auf Besedovskijs Anraten begann er gleich nach der Ankunft in Frankreich für russische Presseorgane zu schreiben, veröffentlichte 1930 in Berlin GPU. Zapiski čekista [GPU. Aufzeichnungen eines Čekisten], das bald in Frankreich und England und 1931 in vollständigerer Fassung in Deutschland herausgegeben wurde. Durch seine Enthüllungen versetzte er dem gesamten ausländischen OGPU-Netz einen schweren Schlag. Im Juli 1937 in den Pyrenäen von NKVD-Agenten ermordet. Burcev stand negativ zu Agabekov, erwähnte in seinen Briefen dessen Gaunereien, die von Dumbadze rechtzeitig durchschaut worden waren, schrieb jedoch nach Agabekovs Verschwinden: „Wichtig ist nicht Agabekov selbst, wichtig ist vielmehr, daß er in Frankreich von bolschewistischen Gangstern ermordet worden ist.“ Das Schweigen der russischen Presse empörte ihn (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 242, 293, 396 f.).

[158] Gumanskij, A. (geb. 1889), OGPU-Agent, der sich in die Weiße Emigration in Riga einschlich. In einer seiner Meldungen nach Moskau berichtete er über den vom weißgardistischen General I.D. Pokrovskij fabrizierten „Zinov’ev-Brief“. Burcev schrieb: „Bezüglich Gumanskijs gingen 1938 Gerüchte um, daß er nach seiner erzwungenen Abreise aus Berlin verschwunden sei. Möglich, daß die Bolschewiki ihn, gleich Agabekov, liquidierten, doch wurde mir vor kurzem gesagt, daß sein Fall bald zutage treten werde“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 422; RGVA, Bestand 720, IL. 1, Akte 107).

[159] Zinov’ev, G.E. (1885–1936), Vorsitzender des Exekutivkomitees der Komintern. Im Oktober 1924 brachte die britische Daily Mail einen „Brief Zinov’evs“ mit Weisungen an die britische kommunistische Partei. Gleich nach dessen Veröffentlichung äußerte Sydney Raily in einem Brief an Burcev Zweifel an seiner Echtheit. Diese politische Provokation führte zum Rücktritt der Regierung MacDonald. 1926 wurde der Brief durch die Komintern als Fälschung desavouiert (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 507, Bl. 4 f.).

[160] Dobkovskij, I.G. (Michel), ehemaliger Anhänger des „Volkswillens“, arbeitete 1908 mit Burcev „bei der Organisation eines revolutionären Konter-Polizeidepartements“ zusammen, wurde oft verhaftet, war psychisch labil. Die Untersuchungskommission der Provisorischen Regierung und später das Revolutionäre Tribunal des VCIK hoben den Verdacht, er habe für die zaristische Geheimpolizei gearbeitet, auf. Er war an sowjetischen Einrichtungen und später im Ausland tätig. Burcev verzieh Dobkovskij wohl nicht, daß er bei einem Verhör durch sowjetische Organe über seine früheren Verbindungen mit ihm berichtet hatte. In der Emigration wirkte Dobkovskij an Žigulevs Zeitschrift mit, wo er seine Drohungen und Beleidigungen an Burcevs Adresse veröffentlichte. Im Archiv befindet sich das Original von Burcevs Brief an Dobkovskij vom 18.9.1930 (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 237, Bl. 16).

[161] Žigulev, A. (Irinin, M.), Mitarbeiter der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin, ab 1927 Nichtheimkehrer, seinen politischen Ansichten nach Anarchist; Chefredakteur und Herausgeber des Organs des Auslandsbüros der Oppositionellen Put’ truda [Weg der Arbeit], das 1930 in Paris herausgegeben wurde. Ab November 1930 hieß die Zeitung Oppozicionnaja pravda [Wahrheit der Opposition] und war das Organ des oppositionellen Kampfes und der Bewegung der Nichtheimkehrer.

[162] Burcevs Aufrufe im Obščee delo, ein Organ der AntiGPU zu schaffen, fanden bei den Emigranten kein Echo, was Burcev 1932 als einen der schwersten Fehler und Verbrechen der gesamten Emigration, der linken wie der rechten, betrachtete (Burcev: Borites’ s GPU [Kämpft gegen die GPU]. Paris 1932).

[163] Besedovskij, G.Z. (1896–1951?), 1917 Konstitutioneller Demokrat, 1918 linker Sozialrevolutionär, 1920 Mitglied der KP(B) der Ukraine, ab 1922 sowjetischer Diplomat in Wien, Warschau und Tokio, dann Geschäftsträger der UdSSR in Frankreich, stand unter OGPU-Kontrolle. Am 3.10.1929 floh er aus dem Haus der bevollmächtigten Vertretung in Paris. 1929–1932 Chefredakteur der Zeitschrift Bor’ba [Kampf] (in Paris erschienen 22 Ausgaben der Zeitschrift), Autor von Memoiren und Artikeln in der Zeitschrift Illjustrirovannaja Rossija, in denen er die OGPU-Tätigkeit enthüllte. Gründete die Gruppe „Bor’ba“ (siehe: Brook-Sheperd, G: Sud’ba sovetskich perebežčikov [Das Schicksal sowjetischer Überläufer], in: Inostrannaja literatura, Moskau, Heft 6/1990, S. 242–249).

[164] Šišmarev, A.K. (geb. 1902), Maler, nach Angaben des französischen Nachrichtendienstes Mitarbeiter der Aufklärungsdienste mehrerer Staaten, 1932 aus Frankreich ausgewiesen (RGVA, Bestand 7, IL. 4, Akte 225). 1938 verhalf ihm Burcev zu einer Unterstützung vom Komitee der deutschen Flüchtlinge, charakterisierte ihn als einen talentierten und absolut unpolitischen Menschen, der in Deutschland verfolgt werde. Wurde verhaftet und 1937 ausgewiesen (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 386, 398).

[165] Kollon, F.A. Aus dem Briefwechsel Kollons mit Burcev geht hervor, daß Kollon diesem bei der Ausstellung von Visa für russische Emigranten half, und zwar über den „Chef der belgischen Sûreté“, zu dem Burcev gute Beziehungen unterhielt (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 320; Akte 724, Bl. 169).

[166] Bogovut-Kolomijcev, V.P. (geb. 1881), russischer Emigrant in Paris, unterhielt gute Beziehungen sowohl zum bolschewistischen Regime als auch zu großen Geschäftsleuten von Paris und London (siehe Brook-Sheperd [wie Anm. 163], S. 246 f.), Mitglied von Besedovskijs Organisation „Bor’ba“ (GA RF, Bestand 7, IL. 2, Bl. 50–79; Bestand 168, IL. 5, Akte 150; Akte 153, Bl. 50).

[167] Illustrierte Literaturzeitschrift, Paris 1924–1939. Chefredakteur 1930–1931 A.I. Kuprin.

[168] Sipel’gas-Ol’šanskij, A.I., Journalist, wirkte vor der Revolution an Gor’kijs Zeitung in Petrograd mit, arbeitete dann in der Abwehr in Finnland und Estland, schlich sich in GPU-Strukturen ein, wurde entlarvt. In der Emigration Mitarbeiter des Vozroždenie in Paris, stellte über Malievskij-Maljavskij (TASS-Direktor im Ausland), der seine Vergangenheit nicht kannte, Kontakte mit GPU-Agenten in Paris her, angeblich zu ihrer Entlarvung, und setzte den Chefredakteur des Vozroždenie Alekseev davon in Kenntnis. Alekseev machte ihn mit den Mitgliedern der privaten russischen Aufklärungsorganisation „R.I.S.“ (Burcev nannte sie Abteilung der Pariser GPU) bekannt; von März 1930 bis November 1931 unterhielt er Beziehungen zur GPU, habe erst ein Jahr später „verstanden, daß man ihn in persönlichem Interesse mystifizierte“ (siehe: Burcevs Vorwort zu Sipel’gas-Ol’šanskijs Buch GPU v Pariže [Die GPU in Paris], in: Illjustrirovannaja Rossija, 1932; Burcev: Kämpft gegen die GPU, 1932). Aus seinen Briefen an Burcev ist bekannt, daß er 1933–1934 Agenten der „R.I.S.“ weiter aufdeckte, materielle Not litt, Burcev um Geld bat und nach Estland oder Paraguay ausreisen wollte. In einem Brief von 1933 heißt es: „Haben Sie Fašist bekommen? Wie gefällt Ihnen der Aufruf A.A. Vonsjackijs und überhaupt die ganze Nr. 1? Ich habe gestern 50 neue Ausgaben bekommen. Was soll ich damit anstellen? Ich will sie mal in die Pečora-Region schicken – vielleicht gelangt etwas doch in die UdSSR ... Ich habe zu niemandem außer Ihnen von Berdjaevs Wunsch gesprochen, sich an Vonsjackij ‚festzusaugen‘.“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 546; Akte 724, Bl. 17, 155.) Der französische Nachrichtendienst hielt ihn 1934 für einen Pariser Vertreter der von Vonsjackij gebildeten russischen faschistischen Organisation (RGVA, Bestand 1, IL. 27, Akte 13020).

[169] Krasnov, P.N. (1869–1947), General, Kosakenataman, Militärhistoriker. 1919 Emigration nach Deutschland. Ab 1921 VMS-Mitglied, einer der Organisatoren der „Brüderschaft der Russischen Wahrheit“ (s. unten). Ab Ende der 1920er Jahre in Frankreich. 1938 Rückkehr nach Deutschland. Ab Sommer 1941 Mitarbeiter der Kosakenabteilung im Reichsministerium für Ostgebiete. Ab März 1944 dort Leiter der Hauptverwaltung der Kosakentruppen, Mitglied des Rates der russischen Armee bei General Vlasov. 1944–1945 in Norditalien. Anfang 1945 ergab er sich dem britischen Kommando in Österreich, wurde an die sowjetischen Behörden ausgeliefert und in Moskau hingerichtet.

[170] Amfiteatrov, A.V. (1862–1938), Schriftsteller und Journalist, ab 1904 in der Emigration in Frankreich, dann in Italien. Kehrte im November 1916 nach Rußland zurück, redigierte die Zeitung Russkaja volja. Im August 1921 Emigration, lebte in Deutschland, der Tschechoslowakei, Italien. An der Tätigkeit des BRP beteiligte er sich seit 1927. Seit 1905 unterhielt er Beziehungen zu Burcev, war sein Vertrauensmann im Kampf gegen das Polizeidepartement, dann gegen VČK-GPU-OGPU-NKVD. Siehe über ihn: Minuvšee [Vergangenes], Bde. 13, 20, 22. Moskau-Sankt Petersburg 1993, 1997.

[171] Antonij (Aleksej Chrapovickij), 1864–1934, Metropolit von Kiev, Mitglied von VMS und BRP.

[172] „Bratstvo Russkoj Pravdy“ (BRP) war eine konspirative antibolschewistische Organisation, 1921 von Herzog G.N. Leuchtenberg, dem Publizisten S.A. Sokolov-Krečetov und General Krasnov gegründet. Die Organisation wirkte bis 1932 illegal in Rußland und gab in Berlin das Blatt Russkaja pravda (1922–1933) heraus. Burcev erklärte, daß er diese Organisation unterstütze, und wollte ihre Infiltrierung durch sowjetische Agenten nicht wahrhaben, was seinem Ansehen Schaden zufügte. Wie Briefe bezeugen, nahm Burcev eine vorsichtige Haltung zum BRP ein. „Sie sprechen begeistert von der Entwicklung in Deutschland. Soweit es sich um den Kampf gegen die Bolschewiki handelt, haben Sie recht. Wenn die Deutschen die Bolschewiki gezeugt haben, dann ist es nur gut, wenn sie diese ehrlich bekämpfen. Wird aber in Deutschland nicht ein europäischer Krieg vorbereitet? Wird nicht von einer Zergliederung Rußlands geträumt? Auf diese Fragen geben Sie mir keine Antwort. Das sind wesentliche Fragen, und zu diesen hat bisher zweifellos auch das BRP gehört“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 344, 424).

[173] Vonsjackij, A.A. (geb. 1898), ehemaliger Offizier der Wrangel-Armee, BRP-Mitglied, gründete 1933 in den USA eine russische faschistische Partei, rief sich zum Führer der Gesamtrussischen faschistischen Partei aus.

[174] D’jakonov, P.P. (1878–1942), General, ab Januar 1916 Kommandeur des 2. Sonderinfanterieregiments des Russischen Expeditionskorps, Offizier der Ehrenlegion, Militärattaché in Großbritannien (September 1917–Mai 1920), lebte später in Paris. Ab 1924 arbeitete er freiwillig für den sowjetischen Nachrichtendienst, vermittelte Kontakte zwischen der VRNO und Mel’gunov, angeblich zwecks Erweiterung der Verbindungen zu den Organisationen der weißen Emigranten im Ausland. Hatte mit Kutepovs Entführung nichts zu tun. Ende Mai 1941 kehrte er heim, wurde verhaftet, im Oktober 1941 entlassen, sein weiteres Schicksal ist unbekannt (siehe über ihn den Essay „Dva pis’ma carskogo generala“ [Zwei Briefe eines zaristischen Generals] im Sammelband Očerki istorii rossijskoj vnešnej razvedki [Abriß der Geschichte der Auslandsaufklärung Rußlands]. Moskau 1996, Bd. 2, S. 153–157). Burcev verteidigte D’jakonov in seiner Broschüre Zum Schutz der Wahrheit. Werden sie mit ihren Verleumdungen aufhören? (Paris 1951), in Aufrufen an die französischen Behörden und in zahlreichen Briefen bis zum Juli 1939 ungestüm gegen den „Verdacht“ seiner Kontakte mit der GPU, nannte ihn einen russischen Patrioten, einen prächtigen Menschen und einen Erzfeind der Deutschen, einen offenen Antibolschewisten, der von der Politik weit entfernt sei, und hielt ihn 20 Jahre lang, d.h. seit D’jakonovs Ankunft in Paris, für seinen engen Freund. In der russischen Emigration in Paris galt D’jakonov seit langem als GPU-Agent, dort vertrat man die Auffassung, daß Burcev mit seiner beharrlichen Verteidigung die ganze eigene Sache kompromittiere (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 250).

[175] Chmara, A. (geb. 1897), Kuban-Kosak, Ataman, 1921 einer der Leiter des Verbandes der Wiedergeburt des Kosakentums in Konstantinopel, ab 1932 in Frankreich. Burcev unterstützte Chmara, als dieser aus Deutschland ausgewiesen wurde.

[176] Muratov, P.P. (1881–1950), Journalist, Kunstwissenschaftler, Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, ab 1918 Mitglied des Gesamtrussischen Schriftstellerverbandes, 1922 dienstlich nach Berlin entsandt. Laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes lebte er ab 1927 in Frankreich, unternahm mehrere Reisen in die Mandschurei zur Herstellung einer Verbindung mit japanischen und russischen Emigranten, Mitglied der profaschistischen Organisation „Central’nyj russkij sojuz“ [Zentrale russische Union], Redaktionsmitglied bei Vozroždenie. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg siedelte er nach London über, war als Militärhistoriker und Kommentator tätig.

[177] Gartman, B.G. (1878–1950), Generalmajor, 1918 in der Freiwilligenarmee, 1919–1924 in Großbritannien, ab 1924 in Belgien, Leiter der 5. Abteilung des ROVS.

[178] Wurde in Belgien vom Verband „Action et civilisation“ herausgegeben.

[179] Illustrierte Literaturwochenschrift, erschien ab 29.9.1934 auf russisch in Paris.

[180] Alexander I. Karageorgiević (1888–1934), ab 1921 König von Serbien und Jugoslawien, sympathisierte mit der russischen Monarchie, unterstützte die russische Emigration in Jugoslawien, u.a. das ROVS, finanziell, orientierte sich in seiner Außenpolitik an Frankreich. Wurde von einem mazedonischen Terroristen in Marseille zusammen mit dem französischen Außenminister Barthou ermordet.

[181] Sein Leben lang, besonders aber in den 30er Jahren, schrieb Burcev sehr viel Literaturkritisches über Puškin, Griboedov und Radiščev. Man nannte ihn einen „unermüdlichen Erforscher der russischen Literatur, einen Kämpfer der Volkswehr der Shakespearianer“. In einem Brief beantwortete Burcev die Frage, „welche Beziehung die Artikel über Puškin zum Kampf gegen die Bolschewiki haben“, wie folgt: „Eine ebensolche Beziehung wie alle Kulturfragen. Ich bin nicht nur auf den Kampf gegen die Bolschewiki spezialisiert ... In unserer Zeit muß man von Puškin besonders viel sprechen. Meiner Meinung nach ist das, was ich über Puškin sage, sowohl neu als auch ernst“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 424).

[182] Zeljuk, O.G. (geb. 1888), Journalist und Herausgeber aus Odessa. Ab 1919 in der Emigration. In den 20er Jahren leitete er in Paris den Verlag „Voltaire“, der die Zeitung Poslednie novosti herausgab, sowie die Druckerei „Franko-russkaja pečat“ [Französisch-russische Presse].

[183] 1934 nahm Burcev als Zeuge am zweiten der drei Prozesse über die „Protokolle der Weisen von Zion“ in Bern teil, wo er die Rolle der zaristischen Geheimpolizei beim Fabrizieren dieser Fälschung aufdeckte. 1938 erschien in Paris sein Buch Protokoly Sionskich mudrecov: dokazannyj podlog (Račkovskij sfabrikoval Protokoly Sionskich mudrecov, a Gitler pridal im mirovuju izvestnost’) [Protokolle der Weisen von Zion: erwiesene Fälschung (Račkovskij fabrizierte die Protokolle der Weisen von Zion, während Hitler sie weltweit bekannt machte)]. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ waren ein Werkzeug der Propaganda des Antisemitismus in Nazideutschland. Burcev ging ebenso leidenschaftlich daran, die antisemitischen Provokateure zu entlarven, wie er früher Azef entlarvt hatte. Wegen der Enthüllung der „Protokolle“ als antisemitische Fälschung unterzogen die Nazi-Behörden im okkupierten Frankreich Burcev mehrmals einem Verhör. (Siehe auch Ju.V. Davydovs Vorwort zu zwei in einem Band herausgegebenen Büchern Burcevs: V pogone za provokatorami [Auf der Jagd nach Provokateuren] und Protokoly Sionskich mudrecov [Protokolle der Weisen von Zion]. Moskau 1991.)

[184] Koltypin-Ljubskij, P.S., Maschineningenieur, Leutnant zur See, während des Bürgerkriegs in der Freiwilligenarmee, lebte nach 1921 in Konstantinopel, wo er sich von den Generälen K.I. Globačev und I.D. Anisimov zu einer Aufklärungsorganisation anwerben ließ, die in ihrem Auftrag für die Bolschewiki arbeitete. Im Juni 1923 in Bulgarien aufgrund der falschen Beschuldigung, Agent der französischen Militäraufklärung zu sein, verhaftet; ab 28.7.1926 in Frankreich, wo er mehrmals auf den bloßen Verdacht hin, ein Bolschewik zu sein, verhaftet wurde. Mitglied der russischen Spionageorganisation „R.I.S.“ mit Zavadskij-Krasnopol’skij an der Spitze, Agent der nationalen Sicherheit Frankreichs. Auf Anraten D’jakonovs wurde er Burcevs Sekretär und stahl ihm (laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes) Dokumente. Die sowjetische Botschaft richtete an das französische Außenministerium Briefe über die provokatorische Tätigkeit von Koltypin-Ljubskij, Šišmarev, Sipel’gas gegen das sowjetische Generalkonsulat. Burcev warf ihm 1932–1933 den Diebstahl seiner Dokumente sowie Verbindungen mit der OGPU und der sowjetischen Botschaft vor. Jener beschuldigte Burcev seinerseits in Briefen an ihn aus den Jahren 1937–1939, ihn verleumdet zu haben: „Nur eines verband uns miteinander: der Haß auf die Bolschewiki, die unsere Heimat versklavt haben. Seit diese heilige Flamme in Ihnen erloschen und an ihre Stelle der Haß auf die Russen, die, und sei es auf falschen Wegen, gegen die Bolschewiki kämpfen, getreten ist, haben sich unsere Wege getrennt“ (Burcev: Kämpft gegen die GPU, 1932; GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 323; Akte 724, Bl. 17, 155, 329–334; RGVA, Bestand 1, IL. 13, Akte 4648; ebenda, IL. 27, Akte 13020; Bestand 7, IL. 2, Akte 9264).

[185] Lago, B.F. (Vladimir Kolpakov), geb. 1896, Journalist, 1922 Vorstandsmitglied der russischen Sektion der Gesellschaft der slawischen Einigung in Prag; laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes ab 1930 in Frankreich, Agent der GPU und der Gestapo, arbeitete auch für den britischen Nachrichtendienst; Mitglied von Besedovskijs Organisation „Bor’ba“, verweigerte nach Erhalt der Aufforderung die Rückkehr nach Rußland, suchte Zuflucht bei Burcev und D’jakonov, wurde aus Frankreich ausgewiesen (RGVA, Bestand 07, IL. 4, Akte 167).

[186] Erschien 1931–1933 in Sofia.

[187] Gučkov, A.I. (1862–1936), Begründer und Führer der Oktobristenpartei, Kriegs- und Seekriegsflottenminister in der Provisorischen Regierung Rußlands, russischer Großindustrieller, Mitglied des Torgprom, erwies der Freiwilligenarmee von General Denikin finanzielle Hilfe. In der Emigration Anhänger der terroristischen Tätigkeit auf dem Territorium Rußlands; war sehr auf seine politische Unabhängigkeit bedacht.

[188] Malinin, V.F. (geb. 1873), Oktobrist, Mitglied der Finanzkommission des Russischen Rates, bis September 1921 Sekretär des Protosojuz, Mitglied der Abteilung des Nationalkomitees in Konstantinopel.

[189] Nationales Arbeitsbündnis der Neuen Generation (NTSNP), 1930 gebildet (ursprünglicher Name: Nacional’nyj sojuz russkoj molodeži [Nationales Bündnis der russischen Jugend]), eine rechtsgerichtete Organisation, ihr Führer V.M. Bajdalakov unterhielt enge Kontakte mit dem ROVS.

[190] Eine kleine extremistische Gruppe in der russischen Emigration, an den deutschen Nationalsozialisten orientiert, im Frühjahr 1934 aus der Russischen faschistischen Partei (gegründet im Mai 1931 in Charbin von Rodzaevskij) und der Gesamtrussischen faschistischen Organisation (gegründet im Mai 1933 in den USA von Vonsjackij) entstanden. Auf dem 3. Kongreß im Sommer 1935 in Charbin kam es zu einem Bruch zwischen den Führern. Vonsjackij nannte seine Partei von da an Gesamtrussische national-revolutionäre Partei (VNRP). Burcev stand kritisch zu pro-faschistischen Organisationen und Zeitungen: „Die Flagge, unter der Sie angeblich segeln wollen, das ist die Besetzung der Ukraine (und nicht nur der Ukraine) durch Hitler. Das ist Antisemitismus im gemeinsten, schädlichsten und rein hitleristischen Sinne dieses Wortes – das, was heute ein Makel für alle ist, die sich bisher nicht vom Hitlerismus reingewaschen haben ... Zu Recht zieht Sie vieles an den Nationalisten an, wenn sie von ihrer Unversöhnlichkeit gegen die Bolschewiki sprechen ... Sie sehen jedoch nicht, in welche Schande Sie von Solonevič und seinesgleichen gestürzt werden und wie furchtbar teuer Rußland die Agitation dieser Leute wird bezahlen müssen“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 724, Bl. 360 f.).

[191] Fok, A.V. (1879–1937), General, diente im Sommer 1918 in der Freiwilligenarmee, ROVS-Mitglied. Arbeitete 1933 im Auftrag von General Miller den Plan der Operation zur Vernichtung Trockijs aus. 1936 Freiwilliger der Armee von General Franco in Spanien, fiel 1937 in einem Gefecht.

[192] Plevickaja (Vinnikova), N.V. (1884–1940), bekannte russische Sängerin, die nach Frankreich emigrierte. Ab 1930 arbeitete sie zusammen mit ihrem Mann General Skoblin für die Auslandsabteilung der OGPU. 1937 durch das französische Gericht im Zusammenhang mit dem Fall von General Millers Entführung zu 20 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Starb im Gefängnis während der deutschen Okkupation.

[193] Skoblin, N.V. (1893–1938), Generalmajor. Während des Bürgerkriegs Kommandeur der Kornilov-Division. In der Emigration lebte er in der Türkei, in Bulgarien, dann in Frankreich. ROVS-Mitglied, nach der Übersiedlung nach Frankreich jedoch kein aktives. Ab 1921 mit Plevickaja verheiratet. Ab September 1930 von der Auslandsabteilung der OGPU angeworben. Mit Skoblins Hilfe wurden Kutepovs Kampftrupps liquidiert. Aktiver Teilnehmer an der Entführung von General Miller. Floh nach der Entführung nach Spanien, wo er unter unbekannten Umständen starb.

[194] Baj, Arthur Emil (Volgin), geb. 1908, Journalist, geboren in Saratov, bewarb sich laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes um einen Posten in der Auslandsabteilung des deutschen Reichspropagandaministeriums als Übersetzer für Russisch, Agent des „Ribbentrop-Büros“.

[195] Kindermann, K., laut Angaben des französischen Nachrichtendienstes deutscher Student in der UdSSR, wo er 1924 vor Gericht stand. 1931 hoffte Burcev, durch Vermittlung von Dr. Kindermann in Berlin seine Erinnerungen und eine Broschüre über Lenin zu veröffentlichen.

[196] Prétot, J.-P., 1935 Anwalt in Besançon, Mitarbeiter der Gendarmerie. Die betreffenden Angaben meldete dem französischen Nachrichtendienst der ehemalige Offizier von Gallipoli P.P. Savin, der dem Amt einen Bericht „Kak GPU dezorganizuet russkuju ėmigraciju, ispol’zuja agentov nacional’noj bezopasnosti“ [Wie die GPU die russische Emigration unter Benutzung von Agenten der nationalen Sicherheit desorganisiert] schickte. Burcev widmete in Bol’ševistskie gangstery v Pariže [Bolschewistische Gangster in Paris] dem „Provokateur P.P. Savin“, der im Gericht im Fall Plevickaja als Zeuge aufgetreten war, ein Kapitel. Als Burcev erfuhr, daß Savin eine Broschüre über Millers Entführung herausgegeben hatte, bemühte er sich um ein Treffen mit ihm (RGVA, Bestand 7, IL. 1, Akte 2182, Bl. 83 ff.).

[197] Filonenko, M.M. (geb. 1885), Anwalt, rechter Sozialrevolutionär, Mitarbeiter des Kriegsministeriums in der Provisorischen Regierung Rußlands, Anhänger von General Kornilov, Weißemigrant, lebte in Paris, dann Professor an der Universität Brüssel. Wurde von der französischen Abwehr der Zugehörigkeit zu ausländischen Nachrichtendiensten, der Verbindungen zu Berlin und der Teilnahme an der Entführung von General Miller verdächtigt. War beim Prozeß gegen Plevickaja Vertreter der Verteidigung.

[198] Svatikov, S.G. (1880–1942), Historiker, Doktor der Philosophie, gemäßigter Sozialdemokrat. Der Höhepunkt seiner politischen Laufbahn fällt in das Jahr 1917, als er Sonderkommissar der Provisorischen Regierung für die Auflösung der Auslandsagentur des Polizeidepartements und die Kontrolle der diplomatischen Dienste war. Autor des Buches Russkij političeskij sysk za granicej [Russischer politischer Spionagedienst im Ausland], das 1918 in Rostov am Don erschien (1941 durch den NKVD zur dienstlichen Verwendung neu aufgelegt). Am 25.11.1917 warnte Svatikov Burcev vor der drohenden Verhaftung und riet ihm unterzutauchen. 1918–1919 arbeitete Svatikov mit Kornilov und Denikin zusammen, bot Burcev von Rostov aus eine Zusammenarbeit an, unterhielt in der Emigration ständig Beziehungen zu ihm, Vorstandsmitglied der Turgenev-Bibliothek in Paris, RZIA-Vertreter in Paris.

[199] Krymov, V.P. (1878–1968), Unternehmer, Journalist. Ab April 1917 in der Emigration (Japan, USA, England, Deutschland). Ab 1933 in Frankreich. Burcev beschuldigte Krymov kommerzieller Geschäfte mit den Bolschewiki in Berlin, der Verbindung „mit dem Verräter und einem Agenten der Bolschewiki Aleksej Tolstoj“, mit dem „Bolschewiken“ Zamjatin, den sowjetischen Schriftstellern Kol’cov und Ehrenburg usw. Krymov verlangte eine Verhandlung vor dem Ehrenschiedsgericht. Das Gericht, vertreten durch N.D. Avksent’ev, Ja.L. Delevskij und V.F. Seeler wies (am 5.1.1939) Burcevs Beschuldigungen zurück. Auf Burcevs Gesuch, den Fall zu revidieren, bestätigte das Gericht (am 13.1.1939) seinen Entscheid. 1938 war Burcev bereit, „den Fall Krymov ohne viel zu viel Lärm“ zu erledigen. Nach dem Gerichtsentscheid fand er, daß von Krymovs Rehabilitierung keine Rede sein könne: „Er hat nicht nur seine Kapitalien in einem deutschen Unternehmen angelegt. Er hat seine eigene Organisation geschaffen, die man ‚kleine Handelsvertretung‘ nannte, und handelte mit den Bolschewiki auch selbst. Er erhielt von ihnen eine 800.000 hohe Abfindung. Ich beschuldige Krymov nicht seiner alten freundschaftlichen Beziehungen zum Schriftsteller Tolstoj, sondern seiner Geschäftsbeziehungen zu jenem Tolstoj, der mit bolschewistischen Aufträgen aus der UdSSR gekommen ist. Dieser Tolstoj besuchte Krymov mit Zamjatin, einem Bolschewiken, nicht bloß einem Bolschewiki-Anhänger, der in Paris immer im selben Haus wie die Mörder General Millers lebte und mit ihnen befreundet war ... Ich habe Krymov einen Helfershelfer der Bolschewiki genannt. Hat Krymov denn nicht den Bolschewiki in Berlin oder Paris geholfen, als er mit Tolstoj und Zamjatin zu tun hatte?“ (GA RF, Bestand 5802, IL. 1, Akte 63; ebenda, Akte 250, Bl. 26–27v; ebenda, Akte 724, Bl. 38, 372, 458; ebenda, Akte 2148, Bl. 23; Akte 2157, 2158, 2188).