Ein Brief von Michail Zoščenko

Eingeleitet von Alexei Rybakov

Der nachstehende Brief von Michail Zoščenko an die Schriftstellerin Natal-ja Davydova spricht für sich selbst und bedarf daher kaum einer Einfüh-rung. Es ist vor allem die äußere und die innere Lage, Armut, Einsamkeit und die seelische Verfassung, sprich: Depression, oder, wie er selbst sagt, Melancholie des nach der Resolution des ZK der KPdSU „Über die Zeit-schriften Zvezda und Leningrad“ vom 1946 und nach der berühmt-berüchtigten Ždanov-Rede zur persona non grata erklärten Schriftstellers, die sich hier ausdrücken. Anzumerken wäre vielleicht nur, daß die zweite Runde öffentlicher Schmähungen Zoščenko noch bevorstand; sie wurde ein Jahr später, 1954, durch seine Weigerung ausgelöst, während einer von dem Schriftstellerverband zu propagandistischen Zwecken organisierten Begeg-nung von Zoščenko und Anna Achmatova mit britischen Studenten seine angeblichen Fehler einzugestehen.



[Übersetzung]


Nataša, Ihr liebes Brieflein habe ich rechtzeitig bekommen. Danke. Ich antworte mit Verzögerung, weil ich nicht gesund war, krank, fühlte mich schlecht. Auch jetzt übrigens dauert es an.

Ihre Sorge um meine Angelegenheiten hat mich sehr gerührt. In der Tat teilte mir Kazakov [1] (kurz nach [Ihrem] Brief) mit, daß der Verlag „I-nostrannaja Literatura“ vorhat, Lassila [2] in meiner Übersetzung neu zu verlegen. Das kommt [mir] natürlich sehr gelegen, da meine Umstände die traurigsten sind und die Armut vor der Tür steht.

Was den Schriftstellerverband betrifft, so regte sich in dieser Angele-genheit noch kein Lüftchen. Man sagt, Sofronov [3] sei krank. Und er war es (ausgerechnet), der mir vorgeschlagen hatte, einen Antrag [für die Wie-deraufnahme] in den Verband zu stellen. [4] Ein gewisses Mißgeschick ist in dieser langen Prozedur unverkennbar.

Sonst habe ich vorerst keine Nachrichten. Jedenfalls weiß ich von kei-nen. Diesen ganzen Monat hat es mir beliebt, in meinem Zimmer und ohne Menschen zu verweilen.

In der nächsten Zeit komme ich bei meinem Unwohlsein wohl kaum nach Moskau. Zweifelsohne kehren Sie früher nach Leningrad zurück. Und dann hoffe ich Sie zu sehen.

Eigentlich habe ich gar kein besonderes Unwohlsein (das gestehe ich Ihnen), wahrscheinlich aber hat die lange und unausgesprochene Gereiztheit meinem Körper etwas Gift eingeflößt. In früheren Jahrhunderten pflegte man sich zu duellieren. Und das hatte etwas Gerechtes. Nicht weniger als zwei Personen würde ich (jetzt) gerne herausfordern. Und dann würde alles so enden, wie es sich in dieser Welt eigentlich gehört.

Es ist traurig, sich in Melancholie zu sehen, von der ich schon viele Jah-re keinen Begriff mehr hatte.

Leben Sie wohl, Nataša. Wahrscheinlich sehen Sie G.N. [5] – bestellen Sie ihm meinen allerherzlichsten Gruß. Und auch dem Jur. Pavl., [6] falls er in Moskau ist.

Ach ja, noch eine kleine Bitte habe ich an Sie – finden Sie heraus, wo sich der Verlag „Inostrannaja Literatura“ befindet (Vdovičenko). Man sagt mir, dieser Verlag existiere nicht bei dem Staatlichen Verlag [Gosizdat ] [7], sondern irgendwo selbständig? Aber das nur, wenn es Ihnen keine Mühe macht.

Bleiben Sie gesund, Nataša. Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen (dem klugen Mädchen) literarische Erfolge. Und ich glaube fest daran.

Ihr Mich. Zoščenko

27. 05. 1953.


[1] Gemeint ist höchstwahrscheinlich der Schriftsteller Michail Ėmmanuilovič Kozakov (1897 – 1954).
 
[2] Maiju Lassila, 1868 – 1918, finnischer Schriftsteller. Zoščenko übersetzte zwei seiner Bücher (russische Titel: Za spičkami, 1949, und Voskresšij iz mertvych, 1951), wobei der Großteil der Auflage des ersteren ohne den Namen des Übersetzers erschien.
 
[3] Anatolij Vladimirovič Sofronov, 1911–1990, sowjetischer Schriftsteller, einer der pro-minentesten Literaturfunktionäre der Epoche.
 
[4] Im Juni 1953 wurde Zoščenko tatsächlich in den Schriftstellerverband wieder aufge-nommen, aus der er 1946 nach dem Beginn der Kampagne gegen ihn ausgeschlossen worden war.
 
[5] G.N – Georgij Nikolaevič Munblit, 1904–1994, Kritiker, enger Vertrauter von Zoščenko.
 
[6] Jurij Pavlovič German, 1910–1967, Schriftsteller, in den 50er Jahren einer der beliebtes-ten Autoren in der UdSSR.
 
[7] Gosizdat – der größte und bedeutendste sowjetische Verlag, gegründet 1919.