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V. Buchbesprechungen

Helmut Altrichter (Hrsg.): GegenErinnerung. Geschichte als politisches Argument im Transformationsprozeß Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien; 61), München: Oldenbourg 2006, XXIV + 326 S.


Im Jahre 1988 reflektierte der Moskauer Historiker Jurij Afanas'ev über den Zustand der sowjetischen Historiographie und kam dabei zu dem Schluß, „daß es wohl in der Welt kein Land gibt, dessen Geschichte dermaßen verfälscht ist wie unsere“.[1] Ähnlich verhielten sich bekanntlich die Dinge auch in den anderen Ländern des „real existierenden Sozialismus“. So gehörte der Kampf gegen die von der Propaganda verbreiteten Fiktionen, der Kampf „um unsere und eure Wahrheit“ (Adam Michnik) zu den zentralen Anliegen der Reformer im gesamten Ostblock. Wie diese Auseinandersetzung zu einer allmählichen Delegitimierung der kommunistischen Regime und dann zu deren Auflösung führte, wird in dem vorliegenden Sammelband, der auf einer Tagung des Münchner Historischen Kollegs vom Juni 2002 basiert, ausführlich dargestellt. Den zweiten Schwerpunkt der Schrift bildet die Analyse der historischen Diskurse in Osteuropa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus.

Was die Periode der Perestrojka anbetrifft, so stellen viele Autoren des Bandes fest, daß die Fachhistoriker zu den letzten gehörten, die die bis dahin bestehenden Tabus anzutasten wagten. Das war in erster Linie in der ehemaligen Sowjetunion der Fall. Schriftsteller, Filmregisseure und andere Künstler waren auf diesem Gebiet wesentlich kühner. Joachim Hösler bezeichnet die sowjetische Historikerzunft als „die Nachhut der Perestrojka“ (9).

Dies war auch nicht verwunderlich. Da die kommunistischen Regime sich in erster Linie durch ihre historische Mission und nicht demokratisch legitimierten, war der Kampf der Partei gegen abweichende Tendenzen in der Geschichtswissenschaft besonders rigoros. Schriftsteller oder Filmschaffende hingegen, die sich fiktiver Sujets bedienten, konnten mit Hilfe von Anspielungen wesentlich freier mit den verordneten historischen Interpretationsmustern umgehen als „offizielle“ Historiker.

Die Tatsache, daß die Fachhistoriker zu den Nachzüglern der Perestrojka zählten, hatte auch mit der Vorgeschichte der Historikerzunft in den kommunistischen Ländern zu tun, vor allem mit der fortwährenden Verdrängung der reformerisch gesonnenen Autoren durch Dogmatiker, die mächtige Gönner im herrschenden Apparat besaßen. Solchen Säuberungsaktionen fielen in der Sowjetunion Historiker wie Aleksandr Nekrič, Michail Gefter oder Viktor Danilov und in der Tschechoslowakei unzählige Vertreter der 68er-Generation zum Opfer. Diese Entwicklungen werden vor allem in den Beiträgen von Joachim Hösler und Hans Lemberg thematisiert. Über die Ausmaße der Säuberungsaktion in der Tschechoslowakei schreibt Lemberg: „In den Institutionen und Universitäten gaben angepaßte und mediokre Historiker den Ton an. Entsprechend sank schlagartig das Niveau der zentralen Zeitschriften und Publikationen. Fast alle diejenigen, die sich zuvor kreativ am Rande oder außerhalb der Partei-Orthodoxie profiliert hatten und international bekannt geworden waren, wurden mit Berufsverbot belegt.“ (155)

Nur das kommunistische Polen stellte, wie so oft, eine Ausnahme im gesamten Ostblock dar: „Die polnische Geschichte – oder besser ihre Repräsentation im gesellschaftlichen Bewußtsein – erwies sich als sehr widerständig gegen die Implementierung einer marxistischen Meistererzählung“, stellt Claudia Kraft in ihrem Beitrag fest (131). Vor allem während der Solidarność-Periode, die das Streben nach Transparenz und den Kampf gegen die historische Lüge geradezu verkörperte, fand eine „Explosion des Gedächtnisses“ statt, die die ideologischen Grundlagen des Regimes weitgehend aushöhlte. Claudia Kraft hebt hervor: „Spätestens seit dieser Zeit hatte die Oppositionsbewegung einen ‚counter-hegemonic discourse‘ gegen­über der Staatsmacht durchgesetzt.“ (138)

Bei der Analyse der historischen Diskurse in der kommunistischen Periode kommt in diesem Band jedoch ein Faktor zu kurz – die Exilhistorio­graphie. Die in den kommunistischen Staaten tabuisierten Themen wurden intensiv von den russischen, ukrainischen oder polnischen Exilhistorikern erforscht, die am westlichen Diskurs, von dem ihre Kollegen in den jeweiligen Heimatländern abgeschnitten waren, partizipierten und die diesem Diskurs zahlreiche Impulse gaben. Die Werke der Emigranten gelangten zwar selten in ihre Heimatländer und ihr Besitz wurde oft drakonisch bestraft. Sie wurden allerdings durch Auslandssender wie Radio Liberty, Radio Free Europe, Deutsche Welle oder BBC den Zuhörern hinter dem „Eisernen Vorhang“ zugänglich gemacht. Dies höhlte das Informationsmonopol der kommunistischen Machthaber zumindest teilweise aus und bereitete künftige Reformen mit vor.

Wie entwickeln sich die geschichtlichen Diskurse in Osteuropa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus? Dieses Thema stellt, wie bereits gesagt, den zweiten Schwerpunkt des Bandes dar. Den roten Faden dieser Debatten bildet die Wiederentdeckung des Nationalen. Der proletarische Internationalismus, der das Herzstück der kommunistischen Ideologie darstellt, erlebte bereits in den 60er Jahren, nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen „Revisionismus“ (insbesondere nach der Zerschlagung des Prager Reformversuchs), eine weitgehende Erosion. Schon damals ließ sich in den einzelnen Ländern der Region unter dem kommunistischen Deckmantel eine nationale Renaissance beobachten. Nach der Wende von 1989 bzw. 1991 beschleunigten sich diese Prozesse noch. Überall verspürt man heute die Sehnsucht nach Wiederherstellung der historischen Kontinuität, die infolge der kommunistischen Machtergreifung unterbrochen worden war. Aber woran will man wieder Anschluß finden? An liberale, weltoffene oder an isolationistisch-ethnozentrische, an sozialdemokratische oder an rechtsextreme Traditionen? Darüber hinaus stellen in einer Reihe südosteuropäischer Länder die Monarchisten einen wichtigen Faktor dar, was sich besonders deutlich im spektakulären Sieg des bulgarischen Ex-Zaren bei den Parlamentswahlen im Jahre 2001 äußerte.

Daß die Osteuropäer nach der Befreiung von der kommunistischen Diktatur zwischen links und rechts, zwischen den europafreundlichen Liberalen und den europaskeptischen Populisten pendeln, stellt für den alten Kontinent nichts Ungewöhnliches dar. Auch im Westen lassen sich vergleichbare Tendenzen beobachten. Dieses Pendeln ist in gewisser Hinsicht eine europäische Normalität. Was allerdings die östliche Hälfte des Kontinents von der westlichen unterscheidet, ist die Tatsache, daß der Osten im Gegensatz zum Westen nicht nur eine, sondern zwei Varianten des Totalitarismus erleiden mußte. So ist der Vergleich zwischen der nationalsozialistischen und der stalinistischen Terrorherrschaft hier nicht nur Gegenstand historischer Diskurse, sondern auch Bestandteil des Kollektivgedächtnisses.

Mit dieser „doppelten“ Vergangenheitsbewältigung befassen sich viele Beiträge des Bandes, insbesondere aber der Aufsatz von Karsten Brüggemann, der die historischen Debatten in Estland analysiert. Mit Recht weist der Autor darauf hin, daß im vergrößerten Europa die Besonderheiten des östlichen Kollektivgedächtnisses stärker berücksichtigt werden müssen, als dies bisher der Fall war. Aber diese Würdigung der Sicht des Anderen, so könnte man hinzufügen, darf nicht eingleisig sein. Auch der Osten muß sich gegenüber den Ergebnissen der westlichen Totalitarismus- wie auch Holocaustforschung öffnen, die im sowjetischen Machtbereich jahrzehntelang tabuisiert war. Mit Empathie zitiert Brüggemann die Aussagen seiner baltischen Gesprächspartner: „Akzeptiert endlich, daß für uns die roten Verbrechen schlimmer waren als die braunen“, und fügt dann selbst hinzu: „Es muß [...] im Westen akzeptiert werden, daß der stalinistische Terror für die Esten, Letten und Litauer wie der Holocaust für die Juden zu einem wesentlichen Teil der eigenen Identität geworden ist.“ (41)

Die Einfühlung des Autors in die Argumentation der Opfer der roten Diktatur und ihrer Nachkommen ist durchaus verständlich. Dies befreit ihn allerdings nicht von der Pflicht zu differenzieren. Der Beschluß der NS-Führung, das gesamte jüdische Volk vom Säugling bis zum Greis, unabhängig von der sozialen Herkunft und der Religionszugehörigkeit der Betroffenen, auszulöschen, stellt einen einzigartigen Vorgang in der Geschichte dar. Die vom stalinistischen Regime unterworfenen Völker wurden zwar furchtbar dezimiert, partiell oder gänzlich deportiert, zum Sklavendasein verurteilt. Mit dem Holocaust lassen sich diese Terrormaßnahmen aber nicht gleichsetzen.[2]

Daß historische Debatten in Osteuropa derart emotional geführt werden, daß eine „Historisierung“ der Vergangenheitsbewältigung hier nur in Ansätzen stattfindet, ist nicht verwunderlich. Man muß sich nur in Erinnerung rufen, wie emotional ähnliche Debatten noch vor kurzem in der Bundesrepublik geführt wurden, so der 1986 begonnene Historikerstreit oder die einige Jahre später von Daniel Goldhagen ausgelöste Kontroverse. Dabei darf man nicht vergessen, daß diese Diskussionen vierzig bzw. fünfzig Jahre nach der „Stunde Null“ stattfanden. In Osteuropa sind indessen nur etwa anderthalb Jahrzehnte seit der Wende vergangen. Deshalb ist es recht weltfremd, wenn Claudia Kraft den polnischen Historikern vorwirft, deren Debatten über die kommunistische Vergangenheit befaßten sich in erster Linie mit eher historiosophischen Fragen, etwa ob „die Volksrepublik Polen ein besetztes Land war“, und vernachlässigten die Alltagsgeschichte und die Institutionsgeschichte dieser Epoche (147). Auch in der Bundesrepublik mußten erst mehrere Jahrzehnte vergehen, bis man von den historiosophischen Debatten über die Ursachen der „deutschen Katastrophe“ und über den „deutschen Sonderweg“ zur Erforschung des Alltags im Nationalsozialismus überging. Man sollte auch den Osteuropäern etwas mehr Zeit für die Historisierung ihrer Debatten lassen.

Der vorliegende Band beeindruckt durch seine Breite – beinahe alle postkommunistischen Länder werden hier berücksichtigt – und die Gründlichkeit der meisten Beiträge. Was man hier allerdings vermißt, ist die vergleichende Analyse. Bis auf die Einleitung von Helmut Altrichter und den Aufsatz von Carl Bethke und Holm Sundhausen über die „Geschichte in den jugoslawischen Nachfolgekriegen“ widmen sich andere Autoren nur am Rande dem Vergleich zwischen den einzelnen Ländern der Region. Trotz dieses Defizits stellt das Buch für jeden, der sich über die Rolle der Geschichte und der Geschichtswissenschaft in den osteuropäischen Transformationsländern informieren will, ein unentbehrliches Referenzwerk dar.

Leonid Luks

Alexander Vatlin; Larissa Malaschenko (Hrsg.): Schweinefuchs und das Schwert der Revolution. Die bolschewistische Führung karikiert sich selbst. Mit einem Vorwort von Simon Sebag Montefiore. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, München: Verlag Antje Kunstmann 2007, 216 S.

Die Grundlage dieses anregenden Buches bildet „ein sensationeller Archivfund“ (Arch Getty). In den Beständen des ehemaligen kommunistischen Parteiarchivs in Moskau wurden nämlich Karikaturen entdeckt, die Spitzenkader in der Sowjetunion bis 1937 über ihre Kollegen (mit zwei Ausnahmen waren die Modelle nur Männer) anfertigten. Eine Auswahl dieser Zeichnungen macht das vorliegende Werk nun der Öffentlichkeit zugänglich.

Das Vorwort des Journalisten Simon Sebag Montefiore bietet neben einigen pauschalen Anmerkungen zum Stalinismus interessante Fakten zu den Protagonisten, darunter N. I. Bucharin und V. I. Mežlauk, von denen die meisten Bilder stammen. Die folgende Einleitung beschäftigt sich unter anderem mit der anspruchsvollen Frage nach dem „Humor in einer humorlosen Epoche“.

Der Bildteil des Buches, der dessen eigentliche Substanz ausmacht, ist in zwei Abschnitte gegliedert. Im ersten werden Porträts der politischen Führer vorgestellt. In einer gelungenen Komposition werden jeweils auf der linken Seite reale Fotos der Karikierten, auf der rechten dann eine oder mehrere Zeichnungen wiedergegeben. Der Genuß dieser überaus aufschlußreichen Darstellung wird aber durch einige Mängel getrübt. Es wurden auch Personen berücksichtigt, die nur wenigen Spezialisten bekannt sind und in ihrer Fülle verwirrend wirken. Die Fotos sind mit kurzen Biographien unterlegt, in denen aber nur das Jahr des Parteieintritts sowie die wichtigsten Ämter in Partei und Staat aufgelistet werden. So steht bei Stalin: „Iosif Vissarionovič Stalin (1879-1953), seit 1898 Parteimitglied, gehörte im Oktober 1917 und von 1919 bis 1953 dem Politbüro an. Seit 1922 war er Generalsekretär der Partei“ (S. 28), Hier wäre eine Konzentration auf einen kleineren aber ausführlicher vorgestellten Personenkreis von Vorteil gewesen.

Im zweiten Teil wird in vier Abschnitten augenfällig vorgeführt, wie die stalinistische Diktatur sich in den Auseinandersetzungen in der Partei etablierte und dann stabilisierte und wie sich dies in den vorgestellten Karikaturen niederschlug. Allerdings haben sich in die kurzen Einleitungen zu den Kapiteln einige bedauerliche Fehler eingeschlichen. So ist eine Charakterisierung von Kamenev und Zinov’ev als „rechte“ Opposition, die sich mit der „linken“ um Trockij zusammengeschlossen habe (S. 133/4) sicher falsch (Zudem wird in diesem Satz eine falsche Jahreszahl genannt).

Trotz dieser Mängel ist das Werk ein absolutes Muß für jeden Stalinismusforscher. Die Karikaturen, die in einer ansprechenden Form wiedergegeben werden, erlauben Einblicke in die Psychologie der sowjetischen Machthaber, die sonst nur schwer möglich sind.

Georg Wurzer

Lars Karl (Hrsg.): Leinwand zwischen Tauwetter und Frost. Der osteuropäische Spiel- und Dokumentarfilm im Kalten Krieg, Metropol Verlag, Berlin 2007, 320 S.

Aktuelle Forschungen zum Kalten Krieg widmen dem Aspekt Kultur vermehrt Aufmerksamkeit. Rana Mitter und Patrick Major (in: Saki Dockrill / Geraint Hughes, Hrsg.: Advances in Cold War History. Palgrave 2006) gehen sogar davon aus, daß der globalisierte Kulturkampf ein Hauptmerkmal des Kalten Krieges war, welches nicht weniger einflußreich gewesen sei als politische oder militärische Macht. Noch bleibt jedoch ein enormer Forschungsbedarf in diesem Bereich bestehen, obwohl Kultur wohl die Grundlage jeder Beeinflussung darstellt. Der Filmkunst kommt in diesem Kontext in Osteuropa eine besondere Rolle zu, da schon Lenin sie als „wichtigste aller Künste“ zur Verbreitung von ideologischen Werten ansah. Dieser hervorgehobenen Stellung des Films widmet sich der Sammelband Leinwand zwischen Tauwetter und Frost. Der osteuropäische Spiel- und Dokumentarfilm im Kalten Krieg. Der Osteuropahistoriker Lars Karl vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam präsentiert eine Publikation zur Erforschung von Funktion und Bedeutung des Mediums Film in Osteuropa nach 1945 und bietet damit auch einen Beitrag zur Debatte um die Rolle der Kultur im Kalten Krieg.

Die Beiträge des Bandes gruppieren sich um vier Bereiche. Zunächst geht es um „Film als Herrschafts- und Repräsentationsmittel – Film und Ideologie“, was die Rolle des Films als ideologisches Instrument untersucht. Im nächsten Teil „Film und Kinosaal. Filmöffentlichkeiten und Zensur“ setzen sich einige Artikel mit Grenzen und Möglichkeiten der Filmverwirklichung innerhalb der ideologischen Vorgaben auseinander. Als Mittel der „Kulturaußenpolitik“ wird der Film in vier Beiträgen des dritten Teils analysiert. Die Autoren widmen sich der Konfrontation und der Kooperation der sowjetischen Filmwirtschaft über den Eisernen Vorhang hinweg. Ebenfalls blockübergreifend nähern sich drei Beiträge des letzten Teils dem Aspekt „Sozialistische Filmfeste und der Westen im Kalten Krieg“.

Über das einende Forschungsobjekt, den Film in Osteuropa und der DDR, vereint der Band eine Vielzahl an Themen. Nach Fragen ideologischer Grundlagen und Beeinflussungen werden die Darstellung des Warschauer Aufstands in polnischen Filmen (José M. Faraldo) ebenso untersucht wie die Art der Thematisierung von Lagern in osteuropäischen und westdeutschen Filmen (Günter Agde) oder die Instrumentalisierung des Dokumentarfilms in der DDR als ideologische Waffe (Roman Deckert, Ger­hard Wiechmann, und Cord Eberspächer).

Die meisten Artikel des Bandes nähern sich der Rolle der Kultur und den Kulturbeziehungen im Kalten Krieg induktiv, ausgehend von einem oder mehreren Filmbeispielen. Der an Osteuropa interessierte Leser gewinnt so gute Kenntnisse der dortigen filmgeschichtlichen Epochen und deren Spezifika. Weitenteils ziehen die Darstellungen Archivforschungen und Zeitungsanalysen heran und nutzen die jeweiligen osteuropäischen Forschungsbeiträge. Die zweite Hälfte des Buches, mit den Teilen 3 und 4 ist allerdings ungleich stärker und insbesondere diese Beiträge sind es, die interessante Analysen vorstellen und Ansätze zu einem breiteren Verständnis der Zeit des Kalten Krieges liefern.

Die Filmproduktion der UdSSR hatte in den 1930er Jahren stetig abgenommen und immer weniger Filme schafften es aufgrund der ideologisch eng gefaßten Kriterien durch die Zensur. Stalin selbst galt als scharfer Kritiker von Drehbüchern und auch herausragende Regisseure wie der im In- und Ausland gefeierte Sergej Eisenstein gerieten unter den Vorwurf des ideologischen Verrats. Nach dem Tode Stalins nahm die Filmproduktion in den 1950er Jahren schnell zu und die mit dem „Tauwetter“ verbundenen Lockerungen wurden sichtbar. Daß auch diese Zeit weiter Beschränkungen unterlag, zeigt Carola Tischler in ihrer umfassenden Analyse zum Film „Zakon“, Das Gesetz, der die Repressionen der 1930er Jahre thematisierte. 1964 in der Atmosphäre des Tauwetters von Vladimir Naumov und Aleksandr Alov produziert, wurde der Film von den zuständigen Behörden nicht zugelassen. Erst zur Zeit der Gorbačevschen Perestrojka konnte er gezeigt werden, gewann aber auch dann nicht die Aufmerksamkeit des Publikums. Tischler zeigt, daß Vergangenheitsbewältigung auch in der Tauwetterperiode nur begrenzt stattgefunden hat. Sie verdeutlicht außerdem, daß eine Aufarbeitung z.B. des stalinistischen Terrors bis heute unvollständig blieb, da während der Perestrojkajahre, die eine solche Auseinandersetzung endlich erlaubten, die individuelle Verarbeitung durch eine verallgemeinernde Stigmatisierung des totalitären Regimes überdeckt wurde.

Daß die Angst vor einem negativen Image zur Zeit des Kalten Krieges ebenso wesentlich Gesellschaften bestimmte, ist Fazit der Auseinandersetzung von Lars Jockheck mit einem frühen Versuch einer gemeinsamen Filmproduktion zwischen Polen und der Bundesrepublik. Die Tauwetterperiode hatte das Projekt „Der 8. Wochentag“ von 1957 ermöglicht, dennoch scheiterte die Koproduktion aufgrund von bürokratischen Vorgaben beider Seiten und gesellschaftlichen Erwartungen: Beim Publikum fand der Film mit seinen offenen Darstellungen keine Akzeptanz. Das Merkmal einer solchen Koproduktion war daher in erster Linie der Austausch der Beteiligten über den Eisernen Vorhang hinweg.

Eine andere Möglichkeit des Austauschs waren die Filmfestivals, mit denen sich die Beiträge von Caroline Moine und Lars Karl beschäftigen. Moine vertritt den Standpunkt, daß sich die Interpretation von Kulturbeziehungen auf mehreren Ebenen gleichzeitig abspielt und so z. B. auf den Filmfestivals einerseits der offiziellen Politik, andererseits aber den kulturellen, auch inoffiziellen Beziehungsgeflechten Bedeutung zukommt. Auf zeitlichen und räumlichen Verschränkungen aufbauend, zeichnet sie Möglichkeiten und Grenzen des Austauschs nach und fragt nach Gemeinsamkeiten für eine Pointierung des Jahres 1968. Karl analysiert die Entwicklung der Moskauer Internationalen Filmfestspiele und weist anhand dieser nach, daß die Tauwetterperiode zwar eine ungeheure Produktionssteigerung in der Filmindustrie bewirkte, aber gewisse Themen eben dennoch ausgespart blieben. Die ideologische Grundlage der Filme wurde weiter betont, so in der Darstellung des Kampfes der Sowjetunion gegen Imperialismus und für den Frieden sowie der Entwicklung einer besseren Gesellschaft im Sozialismus. Der Austausch zwischen Filmschaffenden blieb weiterhin Restriktionen unterworfen, die westliche Avantgarde war ebenso wenig zugelassen wie gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen.

Der osteuropäische Film wurde nach außen wie nach innen als Instrument der Beeinflussung, Träger einer Aussage und nicht zuletzt auch als Ersatzbefriedigung eingesetzt. Damit unterlag die Produktion den dafür vorgegebenen Kriterien und grenzte die Möglichkeiten der Filmschaffenden deutlich ein. Die verschiedenen Filmbeispiele und Epochendarstellungen des Sammelbandes beweisen, daß diese Funktion „als Waffe“ auch nach Stalins Tod bestehen blieb. Der Schwerpunkt des Sammelbandes liegt insbesondere auf der Filmproduktion der Tauwetterphase. Die Zusammen­stellung von Beispielen aus verschiedenen Ländern wie der UdSSR, Polen und der DDR, weist dabei auf Entwicklungsparallelen aber auch auf interessante Konkurrenzsituationen innerhalb des sozialistischen Lagers hin.

Viele Beiträge sind solide Forschungen, die basierend auf Dokumenten vielschichtige Analysen und Ansätze zu einem breiteren Verständnis der Zeit des Kalten Krieges anbieten. Daß dies nicht allen gelingt, ist sicherlich die größte Schwäche des Sammelbandes. Doch dem Leser bleibt eine breite Auswahl, um sich mit osteuropäischer Filmgeschichte, mit den Vorgaben für Kulturschaffende und mit länderübergreifenden Vergleichen auseinanderzusetzen. Damit wird die osteuropäische Kulturgeschichte ebenso bereichert wie die Forschung zum Kalten Krieg – ein Forschungsfeld, das an Bedeutung noch gewinnen wird und in Deutschland endlich mehr Aufmerksamkeit verdient.

Wiebke Bachmann


Eduard Schewardnadse: Als der Eiserne Vorhang zerriss. Begegnungen und Erinnerungen. Duisburg, Peter W. Metzler Verlag 2007, 396 S.

Eines der Zitate, die Hélène Carrère d’Encausse am Anfang ihres 1978 veröffentlichten Buches „Risse im Roten Imperium“ wiedergibt, stammt vom damaligen Chef der Kommunistischen Partei Georgiens Eduard Ševardnadze. Auf einem Parteitag in Moskau soll der georgische Kommunist verkündet haben, daß „die Sonne für Georgien im Norden, in Rußland aufgehe“. Der Sprachgebrauch nicht nur der russischen Kommunisten, sondern auch der Kommunisten aus dem Kaukasus, der Ukraine und den anderen Regionen der Sowjetunion schien bis 1991 durchweg von der historischen Beschützerfunktion Rußlands, seiner zivilisatorischen Rolle, der Anziehungskraft seiner Arbeiterbewegung und dem entscheidenden Beitrag zum Sieg über den Faschismus geprägt zu sein. Die Verdrossenheit dieser politischen Aussagen jedoch, die metaphorische Sprache der Kommunisten und die vollkommene Fassadenhaftigkeit des Sowjetkommunismus werden anschaulicher, wenn man sich mit den 2007 erschienenen Memoiren des ehemaligen sowjetischen Außenministers und späteren Präsidenten Georgiens Eduard Ševardnadze befaßt.

Der 1928 in der westgeorgischen Provinz Mamati geborene Ševardnadze ist ein Beispiel für diejenigen „nationalen Kader“, deren Förderung der Moskauer Parteizentrale schon immer wichtig war. Als erfahrener und parteitreuer Kommunist sollte er im Amt des georgischen Innenministers die in den 1960-70er Jahren zunehmende Korruption in Georgien bekämpfen. Die Entwicklung des kaukasischen Weinanbaugebiets und der georgischen Kurortschaften führte unter Ševardnadze zur Ankurbelung der lokalen Wirtschaft. Der Lebensstandard im damaligen Georgien stieg erheblich im Vergleich zu vielen anderen Regionen der UdSSR. Außerdem zeichnete sich der sowjetische Südkaukasus, dabei vor allem Georgien, durch eine relativ liberale Entfaltung einer alternativen Kunst, Literatur und Filmkultur aus. Gleichzeitig erlebte das Georgien der 1970er Jahre eine partielle Abkehr von der gesamtsowjetischen Planwirtschaft: Es entstanden privatwirtschaftliche Initiativen. Sollte dies – wie Ševardnadze es darstellt – aus Moskauer Perspektive als sein Verdienst eingeschätzt worden sein, wird seine Berufung nach Moskau unter dem Reformer Gorbačev verständlich.

Die Memoiren Ševardnadzes richten sich an die junge Generation der Georgier. Ihr Ziel ist nicht nur die Darstellung des persönlichen Werdegangs des Autors, sondern die Beleuchtung seiner Rolle in den Prozessen von „historischer Bedeutung“. Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern beschäftigt sich mit den einzelnen Episoden aus dem beruflichen Leben Ševardnadzes. Immer wieder geht der Autor detailliert auf seine Einschätzung einzelner Politiker ein. Ševardnadze spricht über „Freunde“ wie Genscher, Baker u.a. und berichtet über seine Zusammenarbeit mit anderen Politikern „von Weltrang“ wie Gorbačev und Jakovlev. Glaubt man der Grundaussage des Buches, hörte Ševardnadze auch zu Sowjetzeiten niemals auf, in erster Linie als „ein georgischer Politiker“ zu denken und zu handeln. Interessant sind die Beschreibungen der diplomatischen Visiten Ševardnadzes als sowjetischer Außenminister im Iran und Deutschland. Im Vorzimmer von Chomeini zog Ševardnadze gedankliche Parallelen zum Teheraner Treffen zwischen Churchill, Roosevelt und Stalin. Über Deutschland merkt er an: „Und wenn ein Georgier, Führer der Sowjetunion, Josef Stalin, eine entscheidende Rolle beim Sieg über Deutschland spielte, versuchte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten als Außenminister der Sowjetunion dieses Land wieder zu vereinen“ (S. 132). Als einen der Gründe für seine Deutschland-Sympathien nennt er die deutsche Anerkennung Georgiens 1918-1921.

 Detailliert schreibt Ševardnadze über die Unterstützung, die er dem Filmprojekt Tengiz Abuladzes („Reue“) zur Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit leistete. Da Abuladze bereits Anfang der 80er Jahre am Film arbeitete, habe man dies vor Moskau „im Geheimen“ gehalten, denn, so Ševardnadze, man sollte auf den passenden Moment noch warten. Damit präsentiert sich Ševardnadze als Förderer der georgischen Zivilgesellschaft, als ein kritisch denkender Politiker, der bereits vor Gorbačev mit einer Perestrojka-Politik in Georgien „experimentierte“. Ševardnadze tritt sogar als Vordenker des Gorbačev’schen Neuen Denkens auf. Dennoch war Ševardnadze in der Realität als georgischer Innenminister und späterer Parteichef Georgiens für die Umsetzung der Moskauer Interessen vor Ort zuständig. Die Tatsache, daß er die kritisch denkende Filmlandschaft duldete und im freundschaftlichen Kontakt mit dem Schriftsteller Konstantine Gamsachurdia, dem Vater des bekannten georgischen Dissidenten und er­sten Präsidenten Georgiens Zviad Gamsachurdia, stand, deutet darauf hin, daß die kommunistischen Eliten im sowjetischen Südkaukasus zwischen „Moskautreue“ und ihrer Verbundenheit an die lokale Intellektuellenschicht schwankten. Seine Duldung der Dissidenten sollte daher nicht auf seine „fortschrittliche Haltung“ zurückgeführt werden, sondern im Kontext der traditionell starken Rolle der georgischen Intellektuellenschicht als moralischer Autorität in der Republik gesehen werden.

„Georgien war ein Teil der Sowjetunion, das brachte ihm kein Glück“ (S. 176), schreibt Ševardnadze. Er setzt sich mit der Geschichte der kaukasisch-russischen Beziehungen Ende des 18. – Anfang des 20. Jahrhunderts auseinander. Diese scheint ihm von einer permanenten Expansion Rußlands und einer daraus resultierenden Widerstandsleistung der Bergvölker gekennzeichnet zu sein. Ševardnadze spricht von der bolschewistischen Okkupation Georgiens 1921 (S. 286) und dem Wiedererlangen der Unabhängigkeit 1991. Die Konflikte in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien werden als russisch-georgische Kriege dargestellt (S. 337).

Zum Zusammenbruch der Sowjetunion schreibt Ševardnadze: „So zerbrach das letzte Imperium des 20. Jahrhunderts, die Sowjetunion, dieses blutige, utopische, gegen den Willen Gottes und die Gesetze der Natur entstandene Reich, der `Völkerkerker`…“(S. 208). Er trauert diesem nicht nach und hält den Kollaps der Sowjetunion für den natürlichen Gang der Geschichte. Schließlich eröffnete der Zusammenbruch der UdSSR neue Perspektiven für Ševardnadze in seiner Heimat.

In den georgisch-russischen Beziehungen sieht Ševardnadze nicht nur negative Seiten, die dennoch am ausführlichsten beschrieben werden. Zu den wenigen positiven Aspekten gehört die Tatsache, daß Georgien mit Hilfe Rußlands Europa näher kam (S. 288). Außerdem habe ihn das Literaturerbe, zu dem Ševardnadze als Sohn eines georgischen Russischlehrers schon in seiner Kindheit Zugang erhielt, zutiefst geprägt. Ševardnadze sieht sich als Verfechter der humanistischen Ideen des „späten Tolstoi“, des Tolstoi des „Chadži Murat“.

Die Memoiren Ševardnadzes sind aus zeithistorischer Sicht sehr aufschlußreich. Ein Drittel der Arbeit ist der Perestrojka-Epoche gewidmet. Interessant ist die Publikation ebenfalls aus politikwissenschaftlicher und konfliktologischer Sicht, denn der Autor geht detailliert auf die Vorgeschichte und den Ablauf der georgisch-abchasischen und georgisch-ossetischen Konfrontation ein. Das Buch enthält interessante Fotoaufnahmen, darunter aus dem Privatarchiv Ševardnadzes.

Zu kursorisch dagegen ist die Beleuchtung der Kontakte Ševardnadzes zu den georgischen Dissidenten (Kostava, Čanturia) sowie seiner Haltung zur Tifliser „Sprachdemonstration“ 1978, die er kaum erwähnt. Sehr wenig Platz widmet Ševardnadze der Beschreibung seiner Kindheits- und Jugendzeit. Er umgeht auch die Beurteilung der georgischen kommunistischen Parteielite (Patiašvili u.a.), zu welcher er jahrzehntelang gehörte. Trotz dieser Mängel ist das Buch allen Osteuropahistorikern zu empfehlen, die sich mit der sowjetischen und kaukasischen Zeitgeschichte befassen.

Zaur Gasimov



* Geringfügig revidierte Fassung einer Besprechung, die ursprünglich in der Internet-Zeitschrift Sehepunkte. Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften 7 (2007), 11 (www.historicum.net/sehepunkte) erschienen ist.

[1] Afanas'ev, Jurij (Hrsg.): Es gibt keine Alternative zu Perestroika. Glasnost, Demokratie, Sozialismus. Nördlingen 1988, S. 572.

[2] 1986, während des deutschen „Historikerstreits“, schrieb Eberhard Jäckel in diesem Zusammenhang: „Ich behaupte [...], daß der nationalsozialistische Mord an den Juden deswegen einzigartig war, weil noch nie zuvor ein Staat mit der Autorität seines verantwortlichen Führers beschlossen und angekündigt hatte, eine bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und der Säuglinge möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit allen nur möglichen staatlichen Machtmitteln in die Wirklichkeit umsetzte.“ (Jäckel, Eberhard: Die elende Praxis der Untersteller, in: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München-Zürich 1987, S. 115-122, hier S. 118).