"Teurer Führer und Lehrer I.V. Stalin!..." Antisemitismus von oben zur Zeit des "GroßenVaterländischen Krieges" (1942/43) Vorbereitet und kommentiert von Gennadij Kostyrčenko und Leonid Luks Nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges wurde die StalinscheSowjetunion von den Westmächten quasi "geadelt" und in die Gemeinschaft der zivilisierten Nationen aufgenommen. In den Augen der jüdischenWeltöffentlichkeit galt die damalige Sowjetunion, die die Hauptlast des Krieges trug, als Retter. Die Tatsache, daß die nationalsozialistischenPläne, das jüdische Volk zu vernichten, nicht vollständigverwirklicht werden konnten, war in der Tat in erster Linie der Roten Armee zuverdanken. Die Kremlführung spielte bewußt mit der jüdischen Karte und gründete für diesen Zweck im April 1942 das Jüdische Antifaschistische Komitee. Es sollte an die westlichen, vor allem an die amerikanischen Juden appellieren, die UdSSR in ihrem Überlebenskampf noch wirksamer zu unterstützen. Indes zeichnete sich die damalige sowjetische Judenpolitik durch eine ausgesprochene Ambivalenz aus. Denn zur gleichen Zeit leitete die Moskauer Führung umfassende Säuberungen nach rassischem Prinzip ein, um viele sowjetische Einrichtungen von der sog. "jüdischen Dominanz" zu befreien. Der Antisemitismus, der bis dahin im kommunistischen Vokabular als "bürgerliches Vorurteil" gegolten hatte und immer wiederangeprangert worden war, begann nun immer stärker die sowjetische Politik zu bestimmen. Vor der partiellen Öffnung der sowjetischen Archive war die Mehrheit der Forscher davon überzeugt, daß die antisemitische Wende des stalinistischen Regimes erst nach der Bezwingung des Dritten Reiches stattgefunden hatte. Die nun zugänglichen Dokumente zeigen, daß diese Wende um einige Jahre vorverlegt werden muß. Bereits im Jahre 1942,als die deutschen Truppen sich Stalingrad näherten, wurde in der Abteilung für Propaganda des bolschewistischen ZK eine Reihe von Denkschriften und Dokumenten verfaßt, die einen eindeutig antisemitischen Charakter trugen. Die Grundzüge der antikosmopolitischen Kampagne, die etwa sechs Jahre später beginnen sollte, waren hier bereits antizipiert. Schon 1942 wurden die Juden als "nationale Nihilisten" und "Verderber der russischen Kulturwerte" bezeichnet, die das Wesen des Russentums nicht begreifen könnten. Der Appell an den russischen Patriotismus, der dem stalinistischen Regime in seinem Überlebenskampf so gute Dienste zu erweisen vermochte, begann sich bereits 1942/43 mit antisemitischen Tönenzu vermischen. Die nun folgenden Dokumente sprechen insofern eine eindeutige Sprache. (Leonid Luks) 1. Brief der Hauptverwaltung für Agitation und Propaganda vom 17.8.1942 An die Sekretäre des ZK VKP (b) Gen. Andreev A.A.[2] Gen. Malenkov G.M.[3] Gen. ščerbakov A.S.[4] über die Auswahl und Beförderung der Kader in der Kunst Das Fehlen einer richtigen und festen Parteilinie bei Fragen der Entwicklung der sowjetischen Kunst im Komitee für Angelegenheiten der Kunst und die fehlende Regulierung in der Arbeit der Kunstinstanzen führten zur Entartung der Politik der Partei bei der Auswahl, Beförderung und Erziehung des leitenden Corps der Kunstinstitutionen sowie der Sänger,Musiker, Regisseure, Kritiker und brachten unsere Theater und Musikinstitutionen in eine äußerst schwierige Lage. Im Laufe mehrerer Jahre wurde die nationale Politik der Partei auf allen Gebieten der Kunst pervertiert. In den Verwaltungen des Komitees für Angelegenheiten der Kunst und an der Spitze vieler Institutionen der russischen Kunst befinden sich Nichtrussen(hauptsächlich Juden). In der Hauptverwaltung der Theater sind die Stellvertreter des Leiters Falkovskij und Gol'cman; der Chef der Hauptverwaltung der Lehranstalten ist Vladimirskij (Jude). In der Hauptverwaltung der Musikinstitutionen des Komitees für Angelegenheiten der Kunst beim Rat der Volkskommissare der Sowjetunion (Chef der Verwaltung:Surin - Russe) werden alle Angelegenheiten der Auswahl, Beförderung und Bewertung der Kader entschieden von: Plotkin - stellvertretender Chef der Verwaltung - Jude und liftejn - Berater der Verwaltung - Jude. Das Komitee für Angelegenheiten der Kunst hat diesen Menschen, denen nicht selten die russische Kunst fremd ist, die Auswahl und Beförderung der Kader anvertraut. Infolgedessen wurden in vielen Institutionen der russischen Kunst Russen zur nationalen Minderheit. Im Bol'oj-Theater der Sowjetunion, das Zentrum und Spitze der russischen Musik- und Opernkultur der Sowjetunion ist, ist die gesamteFührung nicht-russisch:
Die Angelegenheiten der Vorbereitung und Beförderung der Musikkader in denhöheren Lehranstalten befinden sich ebenfalls beinahe vollständig inden Händen nichtrussischer Menschen. So ist der Direktor des Moskauerstaatlichen Konservatoriums Gol'denvejzer - ein Jude, sein Stellvertreter -Stoljarov - Jude. Die wichtigsten Lehrstühle des Konservatoriums (Klavier,Geige, Gesang, Musikgeschichte) sind in den Händen von Juden:Gol'denvejzer, Fajnberg, Cejtlin, Jampol'skij, Mostras, Dorliak, Gedike Im Leningrader Staatlichen Konservatorium ist der Direktor Serebrjakov (Russe), stellvertretender Direktor - Ostrovskij (Jude), Leiter der wichtigsten Lehrstühle - Juden - (tejnberg, Ejdlin, Ginzburg u.a.). Deswegen ist es kein Zufall, daß in den Konservatorien den Studierendendie Liebe zur russischen Musik und zum russischen Volkslied nicht eingeimpftwird, und die Mehrzahl unserer bekannten Musiker und Sänger (Ojstrach, E.Gilel's, Flier, L. Gilel's, Fichtengol'c, Ginzburg, Pantofel-Nečeckaja undandere) hat in ihrem Repertoire hauptsächlich Werke westeuropäischerKomponisten. Die Absolventen des Konservatoriums - Sänger und Musiker -kennen die russischen Volkslieder überhaupt nicht. Schlimmste Verdrehungender Nationalpolitik sind in der Moskauer Philharmonie erfolgt. Hier schaltenund walten ein Geschäftemacher, der keine Beziehung zur Musik hat, der parteilose Lokin - Jude, und eine Gruppe ihm nahestehenderAdministratoren - Juden: Ginzburg, Veksler, Arkanov und andere. In Folge der eng nationalen Cliquen-Politik dieser Führung, begünstigt von der Hauptverwaltung der Musikinstitutionen des Komitees für Angelegenheiten der Kunst, hat die während des Krieges in der Philharmonie erfolgte Kürzung der Planstellen zuallererst die bekannten russischen Künstlerbetroffen. Aus dem festangestellten Stamm wurden beinahe alle Russen entlassen:Die Laureaten der internationalen Wettbewerbe Brjukov,Kozolupova, Emel'janova; talentierte Musiker und Sänger - Sacharov,Korolev, Vyspreva, Jaroslavcev, El'čaninova und andere. In der Philharmonie sind fast nur Juden festangestellt geblieben: Fichtengol'c, Liza Gilel's,Gol'dtejn, Flier, Emil Gilel's, Tamarkina, Zak, M. Grinberg, Jampolskij und andere. Mit Billigung des Komitees für Angelegenheiten der Kunst wurden während des Krieges die Orchester der Volksinstrumente in Moskau und Leningrad liquidiert. Jetzt gibt es in der Sowjetunion kein einziges Orchester für Volksinstrumente, wenn man von den Resten des Moskauer Orchesters, vom Radiokomitee beherbergt, absieht. Großen Einfluß auf die Beförderung und Erziehung der Musikkader übt die Musikkritik aus. Daß unter den Kritikern ebenfalls Nicht-Russen überwiegen (am aktivsten treten in der Presse auf: liftejn, Rabinovič, Grinberg, Kogan, Al'tvang,Gol'denvejzer, itomirskij, Mazel', Cukerman, Chubov,Dolgopolov, Keldy, Glebov), führt nicht selten zur nichtrichtigen tendenziösen einseitigen Beleuchtung der Fragen der Musik in der Presse (zum Beispiel das lange währende Verschweigen der Konzerte des besten sowjetischen Pianisten, Safronickij (Russe) und ausführliche Berichte von den Konzerten von E. Gilel's, Ojstrach, Fichtengol'c und anderen). In bedeutendem Maße wird dies durch den Umstand gefördert, daßin der Führung der Abteilungen für Literatur und Kunst unserer zentralen Zeitungen ebenfalls Nicht-Russen stehen:
Diese Situation der Kunstkader, die sich im Laufe mehrerer Jahre gebildet hatte, erfordert sofortiges Eingreifen und den Beschluß energischerMaßnahmen schon in nächster Zeit. Die Verwaltung für Propaganda des ZK betrachtet die Durchführungfolgender Maßnahmen als unumgänglich: Das Komitee für Angelegenheiten der Kunst wird verpflichtet, konsequent und unentwegt eine richtige nationale Politik auf dem Gebiet der Kunst zuführen. Das Komitee für Angelegenheiten der Kunst wird verpflichtet: 1. Maßnahmen zur Vorbereitung und Beförderung russischer Kader auszu arbeiten (Musiker, Sänger, Regisseure, Kritiker und führendesPersonal der Kunstinstitutionen). 2. Schon jetzt teilweise Erneuerungen der führenden Kader in einer Reihe von Kunstistitutionen (Philharmonie, Konservatorium, Verwaltungen des Komiteesund so weiter) vorzunehmen.
2. Brief des Vorsitzenden des Komitees für Angelegenheiten der Kinematografie beim Rat der Volkskommissare der Union der SSR vom 24.9.1942 24. Oktober 1942 An den Genossen čerbakov A.S. Ejzenštejn bittet sehr, die Schauspielerin Ranevskaja in der Rolle der Efrosinja im Film "Ivan Groznyj" zu bestätigen. Er überreichte mir die Fotografien der Ranevskaja in der Rolle der Efrosinja,die ich Ihnen schicke.[8] Außerdem schickte er einen Filmstreifen mit ihr, den ich Ihnen morgen übersenden werde. Mir scheint, daß die semitischen Gesichtszüge der Ranevskaja starkhervortreten, besonders in Großaufnahmen, und deswegen sollte man Ranevskaja in der Rolle der Efrosinja nicht bestätigen, obgleich Ejzentejn an alle Instanzen appellieren wird. I. Bol'akov[9] Eines der dem Brief beiliegenden Photos 3. Brief des Parteimitglieds Ja. Grinberg vom 9.6.1943[10] Teurer Führer und Lehrer I. V. STALIN! Wie ist es zu erklären, daß in unserem sowjetischen Lande in solch harter Zeit die trübe Welle eines abscheulichen Antisemitismus wieder aufwachte und in einzelne sowjetische Instanzen und sogar Parteiorganisationen eindrang? Was ist das? Die verbrecherische Dummheit übermäßig diensteifriger Menschen, die ungewollt den faschistischen Agenten Hilfe leisten, oder etwas anderes? Ich bin Parteimitglied seit 1919 und war niemals in solch einer schwierigen Lage vor den Genossen um mich herum (sowohl Parteimitgliedern, als auch Parteilosen), die von mir auf diese Frage eine Antwort erwarten. Es gibt Vorstellungen und Mutmaßungen darüber, daß es möglicherweise irgendeine Anweisung von oben über die Entwicklung der russischen nationalen Kultur gegeben hat, möglicherweise sogar über eine nationale Regulierung der zu befördernden Kader. In den Instanzen der Kunstverwaltung wird dar über mit geheimnisvoller Miene, ins Ohr flüsternd, gesprochen. Als Resultat hat sich eine feindselige Einstellung den auf diesem Gebietarbeitenden Juden gegenüber ergeben. In der Praxis sieht es so aus,daß die Personalabteilung des Komitees für Angelegenheiten der Kunstund der ihm unterstellten Instanzen bis auf den Administrator der Wandertheaterlediglich russische Mitarbeiter anstellen. Ein Jude, egal welcher Qualifikation, kann jetzt nicht damit rechnen, selbständige Arbeit, auchder bescheidensten Art, zu erhalten. Diese Politik hat vielen dunklen und wankelmütigen Elementen den Mund geöffnet und die Stimmung vieler Juden, Kommunisten und Parteilosen ist sehr niedergedrückt. Vor kurzem wurde ich zum ersten Mal vom Schauspieler des Kleinen Theaters I.Leptejn (Verdienter Schauspieler der RSFSR) nach Hause eingeladen, und er sprach mit aller Vorsicht sehr besorgt von den antijüdischen Stimmungen, die jetzt die jüdischen Schauspieler dieses Theaters aufregen. Ich weiß, mit welch großer Besorgnis von diesen Erscheinungen derVolksschauspieler der Sowjetunion, Genosse Michoels, der Volksschauspieler A.J. Tairov und viele Theatermitarbeiter sprechen. Es ist bekannt, daß eine Reihe von Vertretern der künstlerischen Intelligenzija (Juden) sich an den Schriftsteller I. Erenburg gewandt haben mit der Bitte, diese Frage zu stellen. Über diese Erscheinungen sprach der Schriftsteller Boris Gorbatov viel mit mir. Es ist schon so weit, daß einzelne Kommunisten (Russen) und sogar Sekretäre der unteren Parteiorganisationen (z. B. in der Verwaltung für Angelegenheiten der Kunst des Moskauer städtischen Exekutivkomitees, in der Abteilung für Kunst des Gebietsexekutivkomitees)ganz offiziell die Frage erörtern, daß im Apparat zu viele Juden arbeiten, Anschuldigungen wegen "Judenbegünstigung" erheben. In der Verwaltung für Angelegenheiten der Kunst mußte man sogar Berechnungen anstellen um festzustellen, ob die jüdische Quote - vierJuden auf 30 Mitarbeiter - eingehalten wird! Es ist nicht mehr auszuhalten! Das ist schon kein Zufall, sondern Tatsache. Von neuem erhebt sich diese schreckliche "jüdische Frage". Lenin schrieb: "... Schmach über die, die den Haß gegen die Juden,den Haß anderen Nationen gegenüber, säen..." (Lenin, Band XXIV). Meine Generation des jüdischen Volkes hat in der Zeit vom "Bund des russischen Volkes" bis zum wütenden blutigen Faschismus viel erlitten, und deswegen ruft das Schüren niederer Instinkte einen kategorischen Protest hervor. Meine Genossen beteuern, daß in den leitenden Parteinstanzen vieles bekannt ist. Ihr persönliches Eingreifen kann die Lage der Dinge auf radikale Weise ändern, und im Zusammenhang damit habe ich beschlossen, mich direkt an Siezu wenden. Ja. Grinberg Parteimitglied seit 1919, Nr. 1289444. 4. Brief der Hauptverwaltung für Agitation und Propaganda vom 15.7.1943 An die Sekretäre des ZK der VKP (b) Genos. Andreev A.A. Genos. Malenkov G.M. Genos. čerbakov A.S. Über die Arbeit des Staatlichen Akademischen Bol'oj-Theaters der Sowjetunion Der Vorsitzende des Komitees für Angelegenheiten der Kunst, Gen.Chrapčenko,[12] hat dem Zentralkomitee Vorschläge zu Veränderungen in der Leitung des Akademischen Bol'šoj -Theaters vorgelegt. Die Verwaltung für Propaganda unterstützt diese Vorschläge des Gen. Chrapčenko. Das Staatliche Akademische Bol'oj-Theater der UdSSR, das im Laufe vieler Jahrzehnte der Stolz des russischen Volkes als höchste Errungenschaft seiner nationalen und Weltkultur war, arbeitet in den letzten Jahren schlecht. Einige Aufführungen des Theaters fanden auf niedrigem künstlerischen Niveau statt, und, zum Beispiel, das größte Werk der russischen Kunst, die Oper "Eugen Onegin" findet auf dem Niveau provinzieller Theater statt. Entgegen den Traditionen des Staatlichen AkademischenBol'oj-Theaters (GABT) [russ. Abk. für Gosudarstvennyj Akademiceskij Bol'oj Teatr, Anm. d. Ü.] verschwanden inden letzten Jahren aus seinem Repertoire die besten russischen Opern: "Boris Godunov", "Sadko", "Pskovitjanka", "Die Sage von der Stadt Kitež", "Fürst Igor", "Ruslan und Ludmila", "Chovanč,ina", "Sneguročka", "Das Märchen vom Zaren Saltan"; die Balletts "Nußknacker", "Die schlafende Schöne". Charakteristisch ist, daß in der Zeit des Vaterländischen Krieges nach der Evakuierung des Bol'oj-Theaters nach Kujbyev die Leitung des Theaters zu allererst nicht russische Opern, sondern ausländische ("Traviata", "Aida", "Der Barbier von Sevilla") wiederaufgeführt hat. Erst nach der Intervention der Verwaltung für Propaganda wurde in Kujbyev die Oper "Ivan Susanin" in konzertanter Fassung aufgeführt. In der Filiale des GAB-T (Moskau) wurdediese Oper erst 1943 aufgeführt. Während des Krieges hat das Bol'oj-Theater eine einzige neue Oper, "Wilhelm Tell" - Musik von Rossini, vorbereitet. In der gesamten Arbeit des Theater-Kollektivs sind der Verfall der Disziplin,Schlamperei, fehlende Planmäßigkeit bemerkbar. Unter den Solistenherrscht ungesunde Konkurrenz. Das Heranziehen neuer Solisten geschieht im Theater ohne ernsthafte Prüfungen und Anforderungen, ohne Wettbewerb und Debüts, und infolgedessen geraten ins Theater leicht Menschen, deren künstlerische Gaben nicht genügen. Nach Meinung vieler Sachverständiger ist der Chor des Bol'oj-Theaters, der hervorragende Kader hat, schlechter geworden. Dies ist in erster Linie dadurch zu erklären, daß anstelle des früheren bekannten Meisters, Stepanov, an die Spitze ein wenig qualifizierter Mensch (Kuper) berufen wurde; dem Chor fehlt die vertiefteÜbung. Das weltberühmte Ballett des Bol'oj-Theaters befindet sichin einer außerordentlich schwierigen Lage. Es hat seit 1938 keinewürdigen Leiter. Das Repertoire des Balletts befindet sich im Stillstand.Die Leitung des Theaters lehnt von Jahr zu Jahr alle neuen Balletts ("Romeo und Julia", "Gajane", "Lola" und andere) ab. In den letzten drei Jahren hat das Ballett in Kujbyev lediglich ein neues Stück "Die scharlachroten Segel" herausgebracht. Als Resultat dessen arbeiten die besten Solisten und Solistinnen des Balletts schon jahrelang nicht an neuen Rollen. Für das künstlerische Niveau der Ballettaufführungen des Theaters trägt eigentlich niemand die Verantwortung, da Samosud sich mit dem Ballett überhaupt nicht beschäftigt,[13] und der schwache und wenig gebildete Leiter des Balletts, Rjabcev, unfähig ist, eine qualifizierte Leitung des Balletts auszuüben. Daher herrscht im Kollektiv des Balletts ein verantwortungsloses Verhalten zurArbeit, zum Beispiel erscheinen die Tänzerinnen auf der Bühne mit modischen Frisuren, der Stil der Kostüme wird nicht beachtet und soweiter. Die Übungen des Balletts sind nicht organisiert, deswegen müssen die führenden Solistinnen und Solisten des Balletts(Lepeinskaja, Messerer, Golovkina und andere) sich Repetitoren von auswärts, privat, suchen. Das Kollektiv des Balletts, jung, talentiert, voller Kraft und beseelt vom Wunsch, zu arbeiten, leidet unter dem Fehlen einer künstlerischen Leitungund ernster Arbeit mit den Akteuren, was die Möglichkeiten des GABT beschränkt; nur dadurch ist zu erklären, daß das Moskauer Ballett hinsichtlich der Technik hinter dem Leningrader Ballett zurückbleibt. Im Laufe vieler Jahre haben weder das Komitee für Angelegenheiten der Kunst noch die Leitung des Theaters echte Sorge um die Vorbereitung desDirigentenkaders gezeigt. Jetzt gibt es im Bol'oj-Theater nur einen Ballett-Dirigenten, Fajer, einen alten, kranken, halbblinden Menschen,der keinen würdigen Nachfolger hat, und ein solcher wird auch nichtvorbereitet. Das Fehlen einer leitenden Autorität im Theater, eines Direktors,führte dazu, daß Samosud als machtvoller Chef des Theaters nur für seine eigenen Aufführungen Interesse zeigt. Die anderen Arbeiten des Theaters sind verwahrlost. Samosud fürchtet die Konkurrenz und zieht keine prominenten Kunstschaffenden zur Arbeit hinzu. Im Gegensatz zu früher, vor 1936-37, als im Theater solche hervorragenden Künstler gearbeitet haben wie Ippolitov-Ivanov, Suk, Pazovskij, Golovanov als Dirigenten; Smolič, Losskij, Baratov als Regisseure; Fedorovskij als Bühnenbildner, Kas'jan Golejzovskij, Lopuchov als Ballettmeister; Stepanov als Chorleiter, wurden in den letzten Jahren zur Arbeit im Theater keineprominenten Theaterkünstler hinzugezogen, das Theater blieb ohneRegisseure und Ballettmeister. Jetzt stehen an der Spitze des Theaters mit wenigen Ausnahmen Menschen, dieunfähig sind, ein hohes Niveau der Arbeit des Bol'oj-Theaters zu garantieren. Man kann es wohl nicht für richtig halten, daß im ältesten russischen Theater die Führungeinseitig - nach nationalen Merkmalen - ausgesucht worden ist:
Dies alles zeugt davon, daß das Bol'oj-Theater von einer ernsten Krise bedroht ist und mit Führungskräften verstärkt werden muß. Die Lage im Theater wird dadurch kompliziert, daß sein Kollektiv schon seit zwei Jahren in zwei Teile gespalten ist (Moskau -Kujbyev). Die Verwaltung für Propaganda ist der Meinung, daß die Liquidierungder früher existierenden Theaterstruktur (Chefdirigent - Chefregisseur -Chefbühnenbildner) und die Einführung des Postens eineskünstlerischen Leiters sich nicht bewährt hat. Bei der Vielfalt und Kompliziertheit des künstlerischen Lebens des Bol'oj-Theaters, der Existenz verschiedener Kollektive(Ballett, Oper, Orchester, Chor und so weiter) ist es einem Menschen unmöglich, das Theater qualifiziert zu leiten. Für die grundlegende Verbesserung der Arbeit desBol'oj-Theaters macht die Verwaltung für Propaganda undAgitation folgende Vorschläge: 1. Der Posten des künstlerischen Leiters des Theaters wird liquidiert undes werden die Posten des Chefdirigenten, Chefregisseurs, Chefballettmeisters,Chefbühnenbildners geschaffen. 2. Zum Chefdirigenten des Bol'oj-Theaters werden Samosud oder Golovanov ernannt; zum Chefregisseur Smolič oder Petrov; zum Chefbühnenbildner - Wil'jams oder Fedorovskij; Chefballettmeister und Leiter des Balletts Lavrovskij; Leiter des Chors - Stepanov. 3. Zum Direktor des Bol'šoj-Theaters wird Bondarenko F.P.ernannt, dafür muß er von der Tätigkeit im Komitee für Angelegenheiten der Kunst freigestellt werden. 4. Dem Bol'oj-Theater wird die Rückkehr nach Moskau imAugust gestattet. 5. Das Komitee für Angelegenheiten der Kunst und die Theaterdirektionwerden verpflichtet, dem Zentralkomitee einen Maßnahmenplan zurVerstärkung des Bol'oj-Theaters (Plan der Tätigkeitdes Theaters 1943/44, das System der Auswahl und Vorbereitung der Kader, Plandes Heranziehens der besten Künstler zum Theater, ein Reglement desTheaters) vorzulegen. Chef der Verwaltung für Propaganda und Agitation des ZK (G. Aleksandrov) Leiter der Abteilung für Kultur und Aufklärung (T. Zueva) 15. VII. 1943 (Übersetzung: Peter Krupnikow) |
[1] Stempelaufdruck: Registriert vom technischen Sekretär des Orgbüros des ZK der VKP(b) am 17.8.1942. RCChIDNI, f.17, op. 125, d. 123, S. 21-24. [2] Andreev, A. A. (1895-1971), Staatsmann und Parteifunktionär. 1932- 1952 Mitglied des Politbüros des ZK derAllunions-Kommunistischen Partei der Bolschewiki. 1935-1946 Sekretär desZK der VKP/b. Leitete von 1932-1952 die Kommission für Parteikontrolle beim ZK. 1946-1953 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR. [3] Malenkov, G. M. (1902-1988), Staatsmann und Parteifunktionär. 1946-1957 Mitglied des Politbüros des ZK derPartei. 1939-1946 und 1948-1953 Sekretär des ZK der Partei. [4] čerbakov, A. S.(1901-1945), Parteifunktionär, 1941-1945 Kandidat des Politbüros undSekretär des ZK der Partei, Leiter der Hauptpolitverwaltung der Roten Armee. [5] Anmerkung von G. Kostyrčenko: Die Führung des ZK sollte von der "jüdischen Übermacht" in den russischen Kultureinrichtungen überzeugt werden. Daher haben die Autoren der Eingabe auch einige Kulturfunktionäre nichtjüdischer Herkunft (A.Gedike, J. Keldy v.a.) als Juden erwähnt. Einige der Familiennamen in dieser Eingabe wurden falsch geschrieben, was entweder von großer Eile bei der Abfassung der Eingabe oder auch von der Inkompetenzder Autoren oder von beidem zeugt. [6] Aleksandrov, G. F. (1908-1961), Ideologe,Philosoph, Kenner des Marxismus und der westeuropäischen Philosophie, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (1946). Ab 1941 Kandidat des ZK der Allunions-Kommunistischen Partei der Bolschewiki (VKP/b). Leitete von1940-47 die Abteilung für Propaganda und Agitation des ZK und von 1947-54 das Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.1954-55 Kulturminister der UdSSR. [7] Zueva, T. M. (1905- ?), von 1940-1945 Leiterin der Abteilung für Kulturanstalten in der Verwaltung fürPropaganda und Agitation des ZK der Partei. [8] Siehe Bildteil. RCChIDNI, f. 17, op. 125, d.124, S. 66-68. [9] Bol'akov, I. G. (1902-1980),leitete von 1939-1954 das Komitee für Kinematografie beim Rat der Volkskommissare der UdSSR und war ab 1946 Minister für Kinematografie derUdSSR. [10] Stempelaufdruck: Registriert vom technischen Sekretär des Orgbüros des ZK des VKP (b) am 9.6.1943.RCChIDNI, f. 17, op. 125, d. 136, S. 123-125. [11] Stempelaufdruck: Registriert vomtechnischen Sekretär des Orgbüros des ZK der VKP(b) am 31.12.1943.RCChIDNI, f. 17, op. 125, d. 216, S. 101-104. [12] Chrapčenko, M. B. (1904-1986),Literaturhistoriker, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (1966).1939-1948 Vorsitzender des Komitees für Angelegenheiten der Kunst. [13] Chefregisseur und Dirigent des Bol'oj -Theaters. |