Dass wir uns mitten in einem durch die kommunikationstechnologische Revolution ausgelösten Paradigmenwechsel befinden, bedarf heute keiner näheren Erläuterung. Vielmehr stellt sich die Frage, wie die tragenden Strukturen der Gesellschaft, insbesondere die Forschung und das Erziehungswesen in Zukunft gestaltet sein werden. Diese Frage steht im Zentrum des Interesses der Gemeinsamen Kommission für Didaktik an der Kath. Universität Eichstätt, die im Wintersemester 1994 von Frau Prof. Dr. Ingrid Hemmer ins Leben gerufen wurde. Unter Frau Hemmers Vorsitz sind im Rahmen des Studium Generale bisher zwei Veranstaltungsreihen durchgeführt worden, die beide auf große Resonanz stießen. Im Sommersemester 1996 führte die erste Reihe in innovative Organisationskonzepte ein, insbesondere in das von der Bildungskommission NRW entwickelte Modell "Haus des Lernens". Die zweite Reihe - geplant und durchgeführt durch Dr. Horst Pointner (KUE, Deutschdidaktik) - fand im Wintersemester 1998/99 statt. Sie widmete sich unter dem Motto "Multimediale Schule - global vernetzt" dem Einsatz von neuen Medien in der universitären Ausbildung und in der Schule. Natürlich waren die Organisatoren auf die tatkräftige Unterstützung durch das Rechenzentrum unserer Universität angewiesen, welches mit entsprechender Multimedia-Ausstattung und personellem Einsatz die technischen Voraussetzungen für ein gutes Gelingen beisteuerte.
Es ist nicht verwunderlich, dass in einer Phase des Umbruchs, wie wir sie erleben, Themenkomplexe auf ganz unterschiedlichen Abstraktionsebenen angegangen wurden. So trafen Überlegungen, die grundlegende Veränderungen des gesamten Unterrichtswesens in den nächsten Jahrzehnten im Blick hatten, mit solchen zusammen, die vorwiegend konkrete Probleme des heutigen Schulalltags bedachten.
Zur ersten - visonären - Ebene zählte der Eröffnungsvortrag von Arthur Imhof, Professor für neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin mit dem Titel "Potentiale nutzen - Tele-Teaching/Distance-Learning". In seinen fulminanten Ausführungen führte der Wissenschaftler dem Publikum vor, wie ein wesentlicher Teil des Vorlesungs- und Übungsbetrieb in die virtuelle Welt verlegt werden kann. Prof. Imhofs Veranstaltungen dürfen nur nach einer intensiven Beschäftigung mit den in seiner Homepage zu den einzelnen Seminarthemen gespeicherten, multimedialen Unterlagen besucht werden (www.FU-Berlin.de/aeimhof). Befasst sich das Seminar beispielsweise mit der Bedeutung der Jahreszeiten für die Lebensgewohnheiten der Menschen, so findet man als Materialien einen Bilderzyklus des Malers Joos de Momper, versehen mit Links auf Quellen, Literatur, O-Töne und Zusatzinformationen, die der Benutzer anklicken kann. Die Multimediashow ist mit Vivaldis "Vier Jahreszeiten" unterlegt. Natürlich verlangt Imhofs virtuelles Lehren von den Studenten technisches Können und hohe Einsatzbereitschaft: seit 1995 akzeptiert er von Lehrveranstaltungsteilnehmern kein Papier mehr. Zwecks Leistungsnachweise sind die Studenten auf die Erstellung von Webseiten oder CD-ROM-Produktionen angewiesen. Wer sich in Imhofs Homepage einwählt, findet entsprechend eine regelrechte Bibliothek bestehend aus Proseminar-, Hauptseminar-, und Magisterarbeiten und aus Dissertationen. Hier einige Themen: "Kindheit in der frühen Neuzeit"; "Das Stadttor im Winterbild (des Joos de Momper): eine 3D-Rekonstruktion"; "Die Votivtafeln von Sammarei als historische Quelle" (Magister-Arbeit); Säuglingssterblichkeit im 18. und 19. Jahrhundert" (Dissertation). In der Diskussion nach dem beeindruckenden Vortrag in Eichstätt richteten sich die Fragen vor allem auf die praktische Durchführbarkeit eines solchen Konzeptes, insbesondere auf die Tatsache, dass nur Studenten an den Übungen und Vorlesungen teilnehmen könnten, die über eine gute Austattung und das entsprechende technische Know-how verfügten. Andererseits wurde deutlich, dass das Imhofsche Konzept eine hervorragende Ausbildung darstellt und die beruflichen Perspektiven der Veranstaltungsteilnehmer stark verbessert.
"Multimedia in der Schule: Chancen und Gefahren" hieß der Vortrag von Wolfgang Bauer (ISB München), der nach einem Überblick über die Geschichte der Medien den revolutionären Charakter der neuen Entwicklungen betonte. Multimedia definierte Bauer als eine Kombination von Computer, Medien und Telekommunikation. Am zukunftsträchtigsten im Hinblick auf den Aufbau von Wissen im schulischen Bereich bezeichnete er die CDs, mit ihrer Kombination von Optischem und Klanglichem, vor allem wenn eine starke interaktive Komponente eingebaut ist. Besonders günstig sei der Umstand, dass auf diese Weise der Schüler als autonomer Nutzer in den Mittelpunkt rückt. Als Probleme nannte er zum einen die Tatsache, dass die Seriosität der Informationen nicht immer gewährleistet sei, zum anderen dass die mit dieser Technologie verbundenen hohen Kosten zu einer Zweiklassengesellschaft führen könnten. Auch die Schulen würden vor Probleme gestellt: es entstehe ein hoher Bedarf an Fortbildung für die Lehrer, vor allem aber ziehe der Einzug der neuen Medien Umstrukturierungen in allen Bereichen nach sich: die Sozialformen, die Inhalte und die interne Organisation, insbesondere der 45-Minuten-Takt und die Fächertrennung würden in der jetzigen Form nicht bestehen können. Sein Vorschlag sei, mehr Blockunterricht, mehr Projekte, Fächerkooperation und Kooperation zwischen Schulen, innerhalb der Schulen eine Vernetzung der Räume und mobile Computereinheiten aufzubauen. Hier müssten schülergesteuerte Lernprozesse gefördert werden, wobei der Lehrer eine Moderatorenfunktion übernehme.
Im Anschluss an den Plenumsvortrag konnte zwischen drei Themen gewählt werden, die in unterschiedlichen Räumen angeboten wurden: Dr. Margit Riedel (FOS Freising/LMU München) berichtete von "Join Multimedia", dem von der Siemens AG organisierten Schülerwettbewerb, an dem 1998 insgesamt 1200 Schülerteams teilgenommen haben. Die Aufgaben für 1999 sind, zu einem der Themen "Technik", "Umwelt", "Unsere Lebenswertliste", "Unsere Unterrichtsstunde/Unser Unterrichtsprojekt" oder "Imagewerbung für unsere Schule" ein Drehbuch zu schreiben und mit Hilfe eines von Siemens zur Verfügung gestellten Autorensystems multimedial umzusetzen. Dr. Regina Richter (KUE, Deutsch als Fremd-/Zweitsprache) stellte die Einsatzmöglichkeiten des Internet im Rahmen eines interkulturell ausgerichteten DaF-Unterrichts vor. Sie analysierte verschiedene Netzangebote, die auf interkulturelles Lernen abzielen und stellte Qualitätskriterien für deren Beurteilung auf (www.ualberta.ca/~german/ejournal/richter1.htm). Schließlich informierte Rudolf Deyringer (München) über neue Entwicklungen in der Büro- und Kommunikationstechnik und ihre Auswirkungen auf den Unterricht im kaufmännisch-bürotechnischen Bereich. Er stellte auch Unterrichtshilfen auf CD-ROM und im Internet zum Fach "Büro- und Kommunikationstechniken für die Hauptschule" vor.
Im Hauptvortrag der dritten Veranstaltung der Reihe stellte Ludwig Bürger (Ludwig.Buerger@t-online.de), Konrektor in Obing, Kriterien zur Beurteilung von Lernsoftware vor, die in der von ihm geleiteten AG Multimedia im BLLV erstellt und auf eine ganze Reihe von Lernsoftware-Produkten angewandt wurden. Er nannte drei Beurteilungsebenen: die programmtechnischen Standards (z.B. Betriebssicherheit, grafische Qualität, Service für den Programmablauf, Anschlussfähigkeit für Peripheriegeräte), die fachdidaktischen Standards (Ziele, Inhalte, Methoden, Darstellungsformen, Wirkungen) und die interaktiven Standards (Umfang der Eingriffsmöglichkeiten, Umfang der aktivitätsfördernden Rückmeldungen). Im Anschluss eröffnete Frau Dr. Angelika Kubanek-German (KUE, Englischdidaktik) an 8 unterschiedlichen Stationen Möglichkeiten, mit CD-ROMs und Internet-Dateien zum Englischunterricht vertraut zu werden, während Dr. Robert Luff (KUE, Mediävistik) über die Arbeit in einer 11. Klasse mit einer CD-ROM zum Drama "Nathan der Weise" berichtete. Parallel zu diesen beiden Gruppen stellte Thomas Kussmaul (München) Möglichkeiten digitaler Unterrichtsvorbereitung aus der Produktpalette des Park-Körner-Verlages (www.park-koerner.de) vor.
Die vierte Veranstaltung war dem Thema "Schule Online: Visionen und Kritik" gewidmet. Im Hauptvortrag vertrat Peter Huber (ISB München) die These, dass angesichts der rasanten Entwicklung auf dem kommunikationstechnologischen Sektor eine positive, aber vorsichtige Haltung angezeigt sei. So bringe das Internet unbestreitbare Vorteile für Lehrer, Schüler und Schulen, man dürfe aber Informationsflut nicht mit Wissen gleichsetzen. Auf die richtige Selektion komme es an. Daher sei es notwendig, dass in der Schule dem wahllosen Surfen gezielte Arbeit entgegengesetzt werde. In der anschließenden, von Frau Prof. Dr. Klaudia Schultheiss (KUE, Grundschulpädagogik) moderierten Podiumsdiskussion, forderte Prof. Dr. Georg Geiser (KUE, Arbeitswissenschaft), dass im Hinblick auf ihren Einsatz in den Schulen die neuen Medien einen deutlichen Mehrwert gegenüber traditionellen Lehrformen aufweisen sollten. Hohe Qualität sei nur unter erheblichem Aufwand zu erreichen. Dr. Christiano German (KUE) wies als Politologe auf den Umstand hin, dass die Verteilung der informationstechnologischen Austattung in der Welt sehr unterschiedlich sei. Die Kluft zwischen Armen und Reichen würde sich hier noch verschärfen. Dr. Jean-Pol Martin (KUE, Französischdidaktik) stellte die Homepage des Projektes "Lernen durch Lehren" vor (www.ldl.de) und Bernhard Mederer (Bürgernetzverein AltmühlNet) betonte, dass Multimedia keine Wunderwaffe gegen Lernprobleme darstelle. Auch er sah die Gefahr, dass eine Bildungselite sich herausbilde. Dr. Wolfgang A. Slaby (KUE) schilderte die multimediale Entwicklung aus seiner Sicht als Leiter des Rechenzentrums unserer Universität und mahnte eine stärkere Integration von multimedia-gestützten Lehrveranstaltungen in die einzelnen Studiengänge an. Die letzte Veranstaltung der Reihe wurde von Prof. Dr. Michael Falk (KUE) und Hans-Peter Sandner (Realschule Rebdorf) gestaltet. Beide Referenten berichteten vom Bürgernetzverein AltmuehlNet, der in kürzester Zeit mit 2200 Mitgliedern zum größten Verein des Landkreises geworden ist.
Insgesamt kann die Veranstaltungsreihe, die bis zuletzt hohe Teilnehmerzahlen erreichte, als voller Erfolg gewertet werden.