deutsch englisch spanisch französisch italienisch
Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana - Rom

Tabula Peutingeriana – Einzelanzeige

Toponym TP (aufgelöst):

Sors desertus

Name (modern):

 

Bild:
Zum Bildausschnitt auf der gesamten TP
Toponym vorher
Toponym nachher
Alternatives Bild ---
Bild (Barrington)
Großraum:

Skythien

Toponym Typus:

Region

Planquadrat:

7A5

Farbe des Toponyms:

schwarz

Vignette Typus :

---

Itinerar (ed. Cuntz):

 

Alternativer Name (Lexika):

 

RE:

 

Barrington Atlas:

Eremia Geton (23 C3)

TIR / TIB /sonstiges:

 

Miller:

Sors desertus (617)

Levi:

 

Ravennat:

 

Ptolemaios (ed. Stückelberger / Grasshoff):

 

Plinius:

 

Strabo:

 

Datierung des Toponyms auf der TP:

frühe Kaiserzeit (einschließlich Flavier)

Begründung zur Datierung:

Die Landschaftsbezeichnung dürfte auf Strabo (7, 3, 14 [305]) zurückgehen. Daher ist eine Datierung des Eintrages in die frühe Kaiserzeit naheliegend.

Kommentar zum Toponym:

Dieser Eintrag bezeichnet offenbar das Siedlungsgebiet verschiedener Völkerschaften, z.B. der Sauromaten und Roxulanen. Die Landschaftsbezeichnung Sors desertus, die wie Talbert zweifellos zu Recht bemerkt „should signify a physical feature or the name of a region“ (https://www.cambridge.org/us/talbert/talbertdatabase/TPPlace2804.html), ist sonst in der antiken Literatur nicht bezeugt. Talbert transkribiert den Eintrag als Sorsdesertvs (ebd.), er zieht diese Angabe also zu einem Wort zusammen, „because no stop appears within it, and the `d` is not capitalized“. Jedoch besteht die Landschaftsbezeichnung unzweifelhaft aus zwei Elementen (s.u.).
Herodot beschreibt die westlich des Tanais gelegenen nicht-skythischen Regionen als „vollkommen ödes Land“ (Hdt, 4, 18, 1: … ἔρημος ἐστὶ ἐπὶ πολλὸν), wie er auch im folgenden die nicht mehr von Ackerbau betreibenden, sondern von nomadisch lebenden Skythen besiedelte Gebiete als ἔρημος bezeichnet. Er vermerkt, dass Skythien (Σκυθική) nicht über den Tanais hinausreiche; vielmehr seien die Regionen auf der anderen (östlichen) Seite des Flusses von den Sauromaten bewohnt, deren Territiorium bis an die Maeotis heranreiche, „und überall sei ödes Land ohne wilde oder angepflanzte Bäume“ (Hdt. 4, 21, 1: πᾶσαν ἐοῦσαν ψιλὴν καὶ ἀγρίων καὶ ἡμέρων δενδρέων). Strabo charakterisiert diese Region zwischen Hister und Tyras als wassserlose „Einöde der Geten“ (Strab. 7, 3, 14 [305]. 17 [306]: ἡ τῶν Γετῶν ἐρημία; vgl. Verg. Georg. 3, 462: deserta Getarum). Spätantike geographische Schriften und Dicuil (8./9.Jh.) setzen an der Ostgrenze Dakiens die „sarmatische Einöde“ an (Dimens. provinc. 8 [p. 10 Riese GLM]; Divisio orb. 14 [p. 17 Riese GLM]; Dic. 1, 7, 2f.: deserta Sarmatiae).
Sors desertus wäre somit in geographischer Hinsicht das südöstliche Pendant zu den solitudines Sarmatarum, also den von Agrippa östlich der Weichsel (Plin. nat. 4, 97. 100: Vistla) angesetzten bis zum Hister (Donau) und zum Tyras (Borysthenes) reichende deserta Sarmatiae (Plin. nat. 4, 81 = Agrippa fr. 18 [p. 4 Riese GLM]). Ausgehend von sors „Schicksal, Los“ und der Passage bei Strabo (7, 3, 14 [305]) markiert dieser Eintrag auf der Tabula Peutingeriana offenbar den Ort des sich erfüllenden Schicksals von Dareios I. 522-486 v.Chr.), der dort gegen die Skythen scheiterte und den Rückzug antreten musste und des thrakischen Königs Lysimachos (306-281 v.Chr.), der in diesem Landstrich nach einer verlorenen Schlacht gegen die aufständischen Geten in deren Gefangenschaft geriet (Kolendo, Les „déserts“ 47f. mit Anm. 33). Nicht auf der Tabula Peutingeriana eingetragen sind die von Strabo (7, 3, 17 [306]) nördlich der Einöde genannten Tyregeten (Τυρεγέται) und jazygischen Sarmaten (Ιάζυγες Σαρμάται).
Durch desertus und solitudines hervorgehoben wird die dünne oder fehlende Besiedlung dieser geographischen Räume, in denen es - im Gegensatz zum Territorium des Imperium Romanum - weder Straßen noch Städte gibt und auf landwirschaftliche Nutzung weitgehend verzichtet wird. Auch andere karge Landstriche („Steppen“) werden mit derartigen Landschaftsbezeichnungen benannt, z.B. die „Einöde der Boier (Strab. 5, 1, 2 [292]: ἡ Βοΐων ἐρημία; Plin. nat. 3, 146: Deserta Boiorum), die „Skythische Steppe“ (Strab. 1, 3, 4 [50]. 7 [52]: Σκυθῶν ἐρημία); Hippocr. Aer. 18, 2f.: Σκύθαι ἐρημία) und die „Einöde der Tibarener und Chaldaier“ (Plut. Lucull. 14, 3: Τιβαρηνῶν καὶ Χαλδάιων ἐρημία; zu den Beispielen vgl. Radt, Strabons Geographika 6, 242). Es sind also die Landstriche Osteuropas und in noch größerem Ausmaß die ausgedehnten und unwegsamen Regionen Asiens, die in der antiken Literatur als Lebensräume von Völkerschaften mit nomadischer Lebensweise beschrieben werden. Pompeius Trogus zufolge seien es die Skythen es gewohnt, „durch unbebaute Einöden“ (per incultas solitudines) zu streifen. Valerius Maximus beschreibt das Agieren der Skythen, die eine offene Schlacht gegen Dareios I. vermeiden wollten, als einen Rückzug in „die äußersten Einöden“ (Val. Max. 5, 4, 5: ultimas solitudines); wohl als dünn besiedelte Landschaft, als Colchicae solitudines, bezeichnet Plinius zumindest einen Teil der Kolchis (Plin. nat. 6, 29), „aber auch ein großer Abschnitt Asiens, der im Norden liegt, besitzt … weite Einöden (Plin. nat. 6, 33: verum Asia quoque magna portio, adposita septentrioni … vastas solitudines habet). Von „tiefen Wäldern und weit ausgedehnten Einöden“ (profundae silvae vastaeque solitudines) gekennzeichnet seien die Gegenden in Baktrien nördlich der Siedlungsgebiete skythischer Gruppen, gegen die Alexander kämpfte (Curt. 7, 7, 4 [29]); der Begriff solitudines bezeichnet hier also den Alexanderhistorikern gänzlich unbekanntes Land. Amminaus Marcellinus nennt die Halani (Alanen) als Bewohner der „ausgedehnten Einöden Skythiens“ (Amm. 31, 2, 13: extantas Scythiae solitudines). Auch auf der Tabula Peutingeriana sind mehrere Einträge zu finden, die die Elemente desertus und solitudines enthalten, vgl. SOLITvDINe˙S· SaRMaTaRvM· (Solitudines Sarmatae), den Campi· De˙se˙Rti· (CAMPI DESERTI) und Campi· Deserti et in habitabiles· propter˙ aque˙ inopiam· (Campi deserti et inhabitabiles propter aquae inopiam).

Literatur:

Wilhelm Tomaschek, Miscellen aus der alten Geographie, in: Zeitschrift für die Österreichischen Gymnasien 18, 1867, 691-721, hier 706; Detlef Detlefsen, Ursprung, Einrichtung und Bedeutung der Weltkarte des Agrippa, Berlin 1906 (= Quellen und Forschungen zur alten Geschichte und Geographie 13) (verschiedene Nachdrucke), 34f.; Miller, Itineraria, 617; Erich Diehl, in: RE VII A / 2, 1943-1948, 1849f. s.v. Tyras 1; Gerhard Perl, Tacitus. Germania - Lateinisch und Deutsch, Berlin 1990 (= Schriften und Quellen der Alten Welt 37, 2), 127f.; Jerzy Kolendo, Les „déserts“ dans les pays barbares représentation et réalities, in: Dialogues d’histoire ancienne No. 17 / 1, 1991, 35-60, hier 47f. mit Anm. 33; Alan D. Lee, Information and Frontiers: Roman Foreign Relations in Late Antiquity, Cambridge / New York 1993 (repr. 2006), 90; Gerhard Dobesch, Das europäische „Barbaricum2 und die Zone der Mediterrankultur. Ihre historische Wechselwirkung und das Geschichtsbild des Poseidonios, 1995 (= Tyche, Suppl. 2), 88; Alexander V. Podossinov, Eastern Europe in Roman Cartographic Tradition, Moscow 2002, 339 (auf Russisch); Karl Strobel, Das Bild Dakiens in der antiken Geographie und der untere Donauraum in der Kartographie des Ptolemaios zwischen Aktualität und Antiquiertheit, in: Orbis Terrarum 14, 2016, 194-228, hier 209f.; Stefan Radt, Strabons Geographika, Band 6: Buch V-VIII: Kommentar, Göttingen 2007, 242; Sorin Nemeti, In circuit tenuit … Dacia and Roman Geographical Knowledge, in: Ephemeris Napocensis 21, 2011, 37-49, hier 40-42.

   [Standard-Literatur-Liste im PDF-Format]

Letzte Bearbeitung:

02.01.2023 17:24


Cite this page:
https://www1.ku.de/ggf/ag/tabula_peutingeriana/einzelanzeige.php?id=1953 [zuletzt aufgerufen am 30.09.2024]

Impressum Datenschutzerklärung